Im Basislager
Da oben in den Wolken knapp 2000 Hm über uns ist der Gipfel
Akklimatisation auf alternativem Weg ins Hochlager
Ein Steinmann für das Gipfelglück

Reisebericht

Kurz entschlossen auf den Ararat

Michael Lippmann, 12.02.2022

Knappe drei Stunden nur dauert im August 2021 der Flug von Berlin nach Istanbul, zwei weitere vergehen bis wir dort im sehr zentral gelegenen Hotel Hali eingecheckt haben. Die verbleibende Zeit bis zum Abendessen reicht gerade noch aus um einer der Hauptsehenswürdigkeiten der Metropole, der höchst beeindruckenden altehrwürdigen Hagia Sophia, zu Fuß einen Kurzbesuch abzustatten.

22. August: Schon vor fünf Uhr aus den Betten gestiegen, starten wir 09:40 Uhr leicht verspätet zum Flug nach Van in Anatolien, unweit der türkischen Grenze zum Iran und zu Armenien. Etwas mehr als zwei Stunden später beginnt dort der Ausflug auf die Insel Akdamar im riesigen Vansee, dem größten Binnengewässer der Türkei. Auf Akdamar erhebt sich die kleine Kirche zum Heiligen Kreuz, Zeugnis der Blütezeit der christlichen armenischen Hochkultur im anatolischen Hochland. Ihre Fresken und vor allem die Bildhauerarbeiten sind einzigartig. Am Abend erreichen wir nach rund zweihundert Kilometern Busfahrt die Stadt Dogubeyazit. Das Zimmer im Ertur Hotel ist einfach aber sauber, die Betreiber haben sich offenbar zu erheblichen Teilen auf durchreisende Ararat-Bergsteiger eingestellt.

23. August: Am Morgen bringt uns ein Kleinbus zum kleinen Ort Cevirme am Sockel des Ararat. Unsere Trekkingtaschen übernehmen nun Pferde. Wir selbst folgen, geführt von Diamir-Reiseleiter Olaf und den beiden einheimischen Bergführern Ibrahim und Jussuf, auf den ersten vierhundert Höhenmetern einer desolaten Piste bergan, der Rest der Strecke bis zum Basislager windet sich als dünner Pfad durch baumlos-trockenes Grasland und verstreute Brocken vulkanischen Gesteins aufwärts. Unsere Gruppe kann man getrost als bunt gemischt bezeichnen. Mit meinen 67 Jahren bin ich nicht einmal der Älteste. Der hat noch sechs Jahre mehr auf dem Buckel, während die Jüngsten in den Dreißigern sind. Genauso unterschiedlich ist die einschlägige Erfahrung: Die reicht von „gegen Null“ bis zu fünfzig Unterwegsjahren im Gebirge. Nach rund tausendvierhundert Aufstiegsmetern folgt die erste Teatime in einem fest erbauten Unterstand im Basislager. – Viel Komfort im Vergleich zu den sonst üblichen zugig-kalten Messzelten! Am Abend frischt der Wind heftig auf.

24. August, 07:00 Uhr: Tag zwei am Ararat gilt vor allem der Akklimatisation. Es ist recht windig am Morgen, am Gipfel offenbar sogar stürmisch – wir sind froh nicht schon heute ganz hinauf zu müssen. Eigentlich führt nur eine einzige Route zum Highcamp, welches stattdessen heute unser Ziel ist. Der Höhenanpassung wegen wäre diese in den folgenden Tagen insgesamt viermal zu begehen, je zweimal bergauf und bergab. Dankenswerterweise schlägt Olaf vor einen alternativen Pfad aufwärts durch Wiesen und Blockwerk zu nehmen, um Gedränge und Staub der Normalroute auszuweichen. Ich nehme vorweg: Diese Strecke ist die bei Weitem abwechslungsreichste dieser Tage am Ararat! Herrlich fest liegendes, staubtrockenes kantiges Blockwerk, das keinerlei Kletterkenntnisse, wohl aber gute Trittsicherheit und ein wenig Erfahrung voraussetzt. Runde achthundert Aufstiegsmeter sind es, die uns bis auf etwa 4050m Höhenlage bringen. Unterwegs flaut der kalte Wind bald ab.

Der Rückweg führt nach einer längeren Rast über das Highcamp wieder hinab zu den Zelten, wo der Koch zum liebevoll arrangierten Abendessen lädt. Zur Zubereitung sowie für Tee und Kaffee geht er auf Nummer sicher und nutzt nur Mineralwasser.

25. August: Wechsel zum Highcamp. Am Morgen werden die Zelte abgebaut, erst gegen zehn Uhr setzt sich nach ausgiebigem, reichhaltigem Frühstück die Gruppe in Bewegung. Enorm staubig ist der Aufstieg auf ausgetretenem Zickzackpfad. Von oben kommen gegen Ende der Strecke schon die Gipfelbesteiger der Nacht herab, von unten rücken immer wieder Tragtiere mit Lasten nach. Über der Hochebene zu Füßen des Berges liegt Ferndunst, geradeso sind Dogubeyazit und die Grenze zum Iran zu erkennen. Schon gegen Mittag erreichen wir die beiden unteren Terrassen des Highcamps, das verstreut auf einem nur leicht herausgehobenen, wenig flacherem Buckel des Berghanges steht. Platz ist hier sehr wenig, die Zelte müssen eng aneinandergestellt werden. Wir übernehmen das Messzelt einer anderen Gruppe, Toiletten gibt es im Gegensatz zu den sehr sauberen im Basislager hier überhaupt nicht. Die Hälfte der Mitreisenden macht noch einen kurzen Ausflug dreihundert Meter bergan, der Rest wartet in den Zelten aufs frühe Abendessen. 19:30 Uhr ist Nachtruhe angesagt.

26. August, 02:00 Uhr: Eiliges Frühstück im Messzelt, kurz danach brechen wir auf. Es ist nicht sehr kalt, vielleicht wenige Grad überm Gefrierpunkt, dazu windstill. Der Höhe und unserer gemischten Belegschaft entsprechend geht es sehr langsam voran. Schlechter allerdings ist, dass andere Gruppen voraus noch zögerlicher unterwegs sind. Dadurch stecken wir schon lange vor der Morgendämmerung im Stau, müssen immer wieder mehrere Minuten lang darauf warten, dass man sich dort oben weiterbewegt. Als komplette Gruppe zu überholen ist in dieser Höhe bei Dunkelheit im steilen Geröll neben dem schmalen Trail fast unmöglich. – Vielleicht wäre es klüger gewesen hätten unsere Guides den Aufbruch etwas früher angesetzt?

Weil es so stückweise aufwärts geht beginnen all jene, die gern sportlicher unterwegs wären, zu frieren und müssen wärmende Zusatzlagen aus den Rucksäcken holen. Erst die Dämmerung bringt wenige hundert Meter unter dem Gipfeleis, wo es wegen des einfacheren Geländes etwas flüssiger voran geht, echte Kälte. Selbst beim Steigeisenanlegen auf knapp 4950m Höhe trennt der Schatten des Gipfels noch von der Wärme der aufsteigenden Sonne. Das Eis des Ararat entpuppt sich an dessen Südflanke eher als lang ausgedehnter Firnbuckel mit zwei moderaten Aufschwüngen, die klar definierte Spur ist seilfrei problemlos zu begehen. Daher kann jetzt jeder seinen persönlichen Möglichkeiten entsprechend weitersteigen.

Gut fünfeinhalb Stunden nach dem Aufbruch steht die komplette Gruppe bei nur wenig Wind und strahlender Morgensonne erfolgreich auf dem völlig ungefährlichen kleinen Gipfeleisspitz fürs Foto versammelt. Im Abstieg teilt man sich in zwei Gruppen auf, die schnellere erreicht nach drei Stunden wieder das Highcamp, die zweite braucht achtzig Minuten länger. Leider mischt sich hier ein Wermutstropfen in den Tageserfolg: Unser Alterspräsident ist auf den buchstäblich letzten Metern überm Hochlager schmerzhaft umgeknickt, nun gehunfähig und muss auf einem Pferderücken in die Ebene gebracht werden. Deutlicher Hinweis darauf, dass auch so ein vermeintlich kinderleichter „Geröllhaufen mit Eiskappe“ selbst bei bester Witterung auch für erfahrene Bergsteiger eine ernst zu nehmende Herausforderung werden kann!

Nach der Mittagsrast werden die Zelte abgebaut, verladen und weitere zwei Gehstunden später im Basislager erneut aufgestellt. Beim Abendessen kredenzen unsere fürsorglichen Bergführer eine Flasche Raki und Kurde Ibra – dessen Frau aus Tschechien stammt – hält zusätzlich Becherovka bereit.

27. August, 06:00 Uhr, frühes Aufstehen auch am letzten Tag unterm Berg. Noch verbleiben ja runde tausendvierhundert Abstiegsmeter. Und weil das Programm eng getaktet ist müssen schon vorm Frühstück die Säcke transportfertig gepackt und die Zelte verstaut sein. Olaf dankt im Namen der Gruppe den Guides, dem Koch und seinem Helfer, der in diesen Tagen für unsere Versorgung zuständig war. Alles hat bestens funktioniert – ich habe selten so fürsorgliche Bergführer erlebt!

Klar, dass sich die rund dreizehn Kilometer hinab zu den Kleinbussen nach dem gestrigen Tag ziemlich lang anfühlen!

Nach kurzem Zwischenstopp im Ertur Hotel rollt unser Fahrzeug mittags zum Ishak Pascha Palast, der unweit von Dogubeyazit an den Bergausläufern thront. Guide Ibra kann jetzt in den Mauern des gut erhaltenen burgähnlichen Baukomplexes erneut auch als Kulturführer glänzen.

Der Nachmittag vergeht während einer Busfahrt, die uns, teils entlang der Grenzbefestigungen zum Iran, zurück nach Van bringt. In warmer Abenddämmerung besichtigen wir auf schmalem Felsriegel die Ruinen der einst stadtbeherrschenden Festung. Das Schönste dort jedoch ist der spätabendliche Rundblick über die Millionenstadt und den angrenzenden, fast meergroßen See.

Ein recht besonderes Haus ist die letzte Unterkunft dieser Reise, das Rönesans Hotel in Van. Gut ausgestattet und sauber – aber das überladene Design in der Empfangshalle ist gelinde gesagt leicht gewöhnungsbedürftig.

Der Weg zum abendlichen Bier, dem ersten auf dieser Reise, wird dann übrigens lang. Trotz der scheinbar weltoffenen Großstadt mit vielen großen Hotels müssen wir wohl gut drei Kilometer durch die Nacht marschieren um abschließend ein solches zu genießen! Die einfallsreiche Gestaltung der Nize-Bar, die sich wohl als eine Art Avantgardetreff versteht, entschädigt dann genauso für den Marsch wie deren unerwartet niedrige Getränkepreise.

28. August: Zum ersten Male auf dieser Reise wird uns beim Frühstück im Rönesans nun auch die Coronapandemie echt lästig: Das Buffet ist mit Flatterband abgesperrt, die Tellerchen belegen auf dessen anderer Seite zwei junge Kellner nach Zuruf mit all den auf Distanz leider meist schlecht zu definierenden, oft unbekannten Speisen.

Nach kurzer Fahrt, der Coronaregeln wegen aber recht umständlichem Eincheck, besteigen wir einen Flieger, der uns vorerst nach Istanbul bringt. Unser Bergunfallopfer hatte Glück im Unglück, seine Verletzungen hat ein Arzt in Dogubeyazit als nicht schwerwiegend eingestuft. Der Mann darf uns – teils im Rollstuhl sitzend und assistiert von Olaf – auf dem Weg in die Heimat begleiten, sogar in der Businessclass…

Wir stehen auf dem höchsten Punkt des Firnbuckels!
Wanderführer und Kulturreiseleiter Ibrahim kann begeistern
Im Blockgeröll ist gutes Steigen möglich
Abendstimmung auf der Van Kalesi überm Vansee
Frauen-Power am Ararat!
Gruppenaufnahme im Basislager
Im Hochlager
Das Hochlager 4170 m
Bald ist der Gipfel erreicht
Auf dem regulären Pfad ins Hochlager
Besuch der Festung Van-Kalesi
Frühstück im Messzelt
Der Abstieg über den Firn ist leicht