Reisebericht

Der feurige Berg – Agiri oder wie wir sagen, der Ararat – Der heilige Berg

Sabine R., 19.07.2022

Reisebericht Besteigung Ararat 25.06. bis 03.07.2022

Ein Mythos sagt, dass auf dem Gebirge Ararat nach der Sintflut die Arche Noah gestrandet sein soll. Wissenschaftliche Beweise sind allerdings rar. Auch wir finden trotz wachen Blickes und einer Portion Neugier im Gepäck außer einem zusammengefallenen Toilettenhäuschen im Basislager und wilden Müllhalden im Hochlager, die aus dem Schnee ragen, keinen neuerlichen Beweis für diese historische Begebenheit. Sicher ist, dass es sich um einen ruhenden Vulkan in Ostanatolien handelt, der in der kargen Grenzregion zum sichtnahen Iran und zu Armenien liegt und mit seinen 5137 m als der höchste Berg der Türkei gilt. Sicher sind wir uns auch nach dem Gipfelerfolg der gesamten Gruppe, dass es sich um einen schönen Einsteiger-5000er handelt, der mit einer gewissenhaften Vorbereitung, der richtigen Ausrüstung vom warmen Schlafsack samt Liegematte über die kuschelige Daunenjacke bis zu den vorab eingestellten Steigeisen für die entsprechenden Bergschuhe, richtig Spaß machen kann. Ein wenig Expeditionsfeeling ist Inklusive.

Doch zunächst alles auf Anfang. Aufgrund einer Flugverschiebung kommen wir einen Tag verspätet am Zielort Van an. Das Kulturprogramm kommt durcheinander, was nicht schlimm ist, denn am Ende der Reise können wir dank unseres flexiblen Vorortteams überall einen Haken für erledigt setzen. Auch reicht die Zeit, sich mit Land, Leuten und den Gepflogenheiten ein wenig vertraut zu machen. In Kleinbussen fahren wir zum Ausgangspunkt und Umschlagplatz der Wanderung und sehen den Ararat in seiner ganzen Pracht. Das Wetter ist instabil, mitunter verschwindet der Gipfel in dicken Wolken, abends grollen Gewitter. Unser Hauptgepäck transportieren Pferde ins Basislager. Wir wandern gemütlich mit dem Tagesrucksack gute 1000 Hm hinterher und erfreuen uns an den vielen Kräutern und Blumen. Die Sommersaison der Bergsteiger hat erst begonnen, das leicht terrassierte Basis-Zeltlager ist noch fast leer, letzte Schneefelder verteilen sich am Hang und schmelzen zusehends ab. Verschließbare Toilettenhäuschen ohne Dach, dafür mit Wasserspülung, sorgen für Lagerluxus. Den Rest erledigt unser Koch „Mr. Perfect“, der den ganzen Tag in seinem Zelt zaubert und uns mit landestypischen Spezialitäten verwöhnt, übrigens auch im Hochlager. Die gute Seele steigt nämlich mit auf und ab. Schwarzer Tee und Wasser stehen immer zur Verfügung. Es fehlt kulinarisch an nichts, die Stimmung ist gut, die Bäuche regelmäßig voll. Mitunter hegen wir den Verdacht, dass wir mehr Zeit mit Essen verbringen als mit Bewegung. Verwerfen diesen aber wieder schnell und widmen uns lieber dem nächsten Gruß aus dem Küchenzelt. Abendliche Gewitter mit Graupel beenden die Tage im Basislager. Absteigende berichten uns von 50 cm Neuschnee im Gipfelbereich. Je näher es auf den Gipfeltag zugeht, desto mehr Aufregung kommt ins Spiel. Zur Höhenanpassung wandern wir als Tagesausflug ins Hochlager, verschaffen uns einen Überblick und trinken gemütlich Tee. Verlaufen ist fast unmöglich, wir folgen immer den Spuren der Pferde und natürlich unserem einheimischen Bergführer Yusuf, der den Berg wie seine Hosentasche kennt. Wieder zieht es am Himmel zu und wird rasch kalt. Der Gipfel will sich noch nicht richtig zeigen. Am nächsten Tag packen wir in aller Ruhe zusammen und ziehen ins Hochlager um. Oben ist dann erst einmal Schneeschippen angesagt, damit die Zelte trockenstehen. Dringende Bedürfnisse verrichten wir fortan mit Panoramablick zwischen Gesteinsbrocken. Die Sache mit der Körperhygiene wird eh überbewertet, Deo und Feuchttuch müssen – wenn überhaupt – reichen. Das windgeschüttelte Essenszelt, Suppe und Tee sorgen für etwas Wärme, vor allem wenn sich die Sonne versteckt. Später gibt eine umfunktionierte Trinkflasche mit heißem Wasser im Schlafsack warme Füße. Die Nacht ist kurz. Aufstehen noch vor 1 Uhr. Warm anziehen, kleines Frühstück reinzwängen, gesüßten Tee einpacken, Abmarsch gegen 2 Uhr. Das erste Stück der eiskalten, klaren Nacht führt in Serpentinen noch ohne Steigeisen durch den Schnee. Es folgt Spurarbeit und Stufen setzen im hart gefrorenen Neuschnee vom Vortag. Solange, bis wir noch im Schein der Stirnlampe die Steigeisen anlegen. Im Vorteil sind alle, die hierfür mit klammen Fingern die nötige Routine haben und schnell weitergehen können, um nicht auszukühlen. Als die Sonne aufgeht, ist die Freude fast so groß, wie der sich abbildende gigantische Bergschatten. Der schon sichtbare schneeweiße Gipfel kommt nicht wirklich näher. Es zieht sich, Schritt für Schritt, Höhenmeter für Höhenmeter. Das Wetter entpuppt sich derweil zum Schönwettertag und könnte nicht besser sein. Kaum Wind, klare Sicht, Sonne. Gegen halb sieben ist das Gipfelglück samt Foto perfekt, alle haben es geschafft! Der Abstieg erfolgt bis zum Hochlager komplett mit Steigeisen im freien Gelände. Es gilt jetzt schneller zu sein als die Höhenprobleme, die den einen oder anderen nun doch plagen. Zweites Frühstück im Hochlager. Dann erneut alles einpacken und Abstieg ins Basislager. Ein langer Tag, den Mr. Perfect mit einem fulminanten Abendessen krönt. Unsere Begleiter vor Ort, Orhan und Felix, packen noch eine Flasche des türkischen Nationalgetränks Raki obendrauf. Die Party kann steigen. Mit der letzten Zeltnacht und dem Abstieg am nächsten Morgen endet das Bergprogramm. Damit es uns nicht langweilig wird, holen wir das Kulturprogramm samt kühlem Gipfelbier im Bus, Mittagessen, Fotostopp am Wasserfall, Bootsfahrt, Bad im Vansee, dem größten Sodasee der Erde sowie die Besichtigung der uralten Akdamar-Kirche noch am gleichen Tag nach. Am Abend macht sich im Bus Melancholie breit, die Sonne versinkt romantisch im 1648 m hoch gelegenen schier unendlich großen Gebirgssee, im Radio dudelt türkische Folklore, jeder träumt vor sich hin. Wir haben es geschafft und sind auch ein wenig geschafft. Als wir das Stadthotel in Van erreichen, ist es bereits dunkel. Endlich duschen, essen und so viel Energie steckt noch in uns – ab in die Stadt! Schlafen können wir auch im Flugzeug.

Und ob die Arche Noah jetzt wirklich am Ararat gestrandet war, kann ja die Gruppe nach uns ja nochmals überprüfen.

Auf dem Gipfel des Ararat