Indien – Kumbh Mela in Allahabad
Indien – Kumbh Mela in Allahabad
Indien – Kumbh Mela in Allahabad
Indien – Kumbh Mela in Allahabad

Reisebericht

Indien – Organisation der Kumbh Mela ist eine logistische Meisterleistung

Erika Dora Marx, 20.02.2013

Nach Indien zur Kumbh Mela 2013

Man stelle sich vor, auf einem Gelände, das etwa so groß ist wie die 28.000 Einwohner zählende Stadt Köthen, treffen an einem Tag 40 Millionen Menschen aufeinander. So geschehen am 10. Februar 2013 in der Stadt Allahabad im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh.

Die Legende erzählt, dass einst Götter und Dämonen den Nektar der Unsterblichkeit in einem Krug sammelten, aber dann um diesen Krug so heftig stritten, dass Tropfen des kostbaren Nektars verschüttet wurden. Allahabad ist einer von vier heiligen Orten Indiens, an denen einer dieser Tropfen zur Erde gefallen sein soll. Bei der richtigen Sternenkonstellation aller zwölf Jahre erscheint dieser Tropfen göttlichen Nektars wieder im Ganges.

Dann kommen Millionen Hindus nach Allahabad, um Kumbh Mela, das „Fest des Kruges“, zu feiern und in den Fluten des Heiligen Flusses zu baden, in der Hoffnung, den ewigen Kreislauf der Wiedergeburten zu durchbrechen. An diesem Tag ist der Sündenerlass eines Bades millionenfach größer als an jedem anderen Tag. Hinzu kommt, dass in diesem Jahr die Kumbh Mela eine ganz besondere ist, denn erst in 144 Jahren stehen die Sterne wieder so günstig, wie an diesem 10. Februar 2013, dem heiligsten Tag der Kumbh Mela.

Und wir können sagen: „Wir sind dabei gewesen!“

Bis man jedoch seine Füße mit dem Wasser des Heiligen Flusses Ganges benetzen kann, sofern man überhaupt bis dahin vordringt, ist Härte angesagt. Allein die Anreise nach Indien mit Zwischenstopp in Doha ist zeitraubend. Hat man schließlich nach einer 9-stündigen Zugfahrt mit der indischen Eisenbahn Allahabad erreicht, warten weitaus größere Herausforderungen auf uns. Nicht nur die örtliche Presse belagert uns und will wissen, warum Europäer den Weg hierher finden. Man muss auch gut zu Fuß sein, denn stündlich wird der Absperrradius des Kumbh Mela Geländes erweitert. Quetschen wir uns anfangs zu sieben Personen samt Gepäck in einen kleinen PKW, so ist bereits ein paar Kilometer weiter Schluss damit, denn die Polizei lässt keine Fahrzeuge mehr durch. Zunächst also alles Gepäck auf einen Holzkarren geladen und per pedes ein paar Kilometer weitergeschoben.

Dann geht gar nichts mehr. Nun heißt es, sich mit eigener Muskelkraft voranzukämpfen. Zum Glück sind wir nur mit kleinem Gepäck unterwegs. Überall Menschen über Men-schen, die sich kreuz und quer, scheinbar plan- und ziellos, über das Festgelände schie-ben. Jeder ist auf der Suche nach einem Schlafplatz. Die Inder sind sehr hilfsbereit, je-doch vollkommen überfordert und schicken uns hin und her, ohne wirklich zu wissen, ob die Richtung stimmt, so dass wir nach Stunden bemerken, dass wir einfach nur im Kreis gelaufen sind. Auch die Telekommunikation ist zusammengebrochen, so dass Hilferufe übers Handy aussichtslos sind. Selbst die 30 Polizeistationen sind total überfordert und haben keinen Draht nach außen.

Als Trostpflaster werden wir vom Polizeichef mit köstlichem Tee und Keksen bewirtet und können für kurze Zeit neue Kraft tanken. Nach fünf Stunden verzweifelter Suche und 15 km Fußmarsch mit vollem Sturmgepäck durch einen wimmelnden „Ameisenhaufen“ erreichen wir schließlich kurz vor Mitternacht unser Zeltlager, abseits des Trubels.

Am frühen Morgen des 10. Februar ist es mit der Ruhe vorbei. Es ist 6.00 Uhr, als wir uns ins Getümmel der Kumbh Mela-Besucher stürzen.

Was für eine Farbsymphonie, was für ein unglaubliches Flair. Die Menschenmassen, die sich in der Unendlichkeit zu verlieren scheinen und der Anblick der mit Asche beschmierten nackten Sadhus entbehren jeder Vorstellungskraft eines Mitteleuropäers. Wir befinden uns wie in einem Rausch.

Lassen uns vom Strom der Pilger, Bettler, Gurus und Babas einfach nur treiben. Da gibt es Sadhus, die seit drei Jahren auf einem Bein stehen. Wieder andere fügen sich freiwillig Schmerzen an den Genitalien zu. Ein anderer hält seinen Arm schon seit 24 Jahren in der Luft. Wir als Außenstehende können dem Treiben nur verwundert zuschauen. Verstehen werden wir die freiwillige Kasteiung nie.

Absoluter Höhepunkt zur Kumbh Mela ist die Bootsfahrt zu der Stelle, an der Ganges und Yamuna zusammentreffen. Ein Eintauchen am Zusammenfluss bedeutet für die Pilger eine hundertprozentige Garantie für die Erlösung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten.

Bis zum Ende des Festes am 10. März werden rund 100 Millionen Pilger erwartet. Die meisten kommen aus armen Gegenden und haben alles Nötige wie Brennholz, Decken und Reis dabei. Nicht zu vergessen – Kanister für das heilige Wasser für die Daheimge-bliebenen. Wer kein Zelt hat, schläft einfach im Freien, bei Temperaturen um die fünf Grad. So manch einer wünscht sich, an diesem heiligen Ort sterben zu dürfen. Und so schleifen Söhne ihre betagten Mütter regelrecht hinter sich her, nur um ihnen ihren letzten Wunsch zu erfüllen.

Die Organisation der Kumbh Mela ist eine logistische Meisterleistung, der es nichts Vergleichbares entgegenzusetzen gibt. 156 km befestigte Straßen und Wege wurden nur für dieses Event errichtet. Hinzu kommen 571 km Wasserrohrleitungen und 800 km elektri-schen Leitungen sowie 48 Umspannwerke. Für gerade mal 60 Tage überspannen 18 Pontonbrücken den Fluss. Für das menschlichste aller Bedürfnisse wurden 35.000 Toiletten aufgestellt. 22 Ärzte und 120 Ambulanzen stehen rund um die Uhr zur Verfügung. Selbst ein Krankenhaus mit 100 Betten ist auf dem Areal zu finden. In unzähligen Suppenküchen werden kostenlos warme Mahlzeiten ausgegeben. Für verloren gegangene Angehörige wurde eine Anlaufstelle errichtet, in der Vermisste über Lautsprecher ausgerufen werden. Für manchen Inder ist dieses Fest auch in anderer Hinsicht ein Segen, denn mehr als 600.000 Menschen kommen durch die Kumbh Mela vorübergehend in Lohn und Brot. Und Uttar Pradesh selbst profitiert von den immensen Steuereinnahmen, die auf ca. 1,65 Mio. Euro geschätzt werden.

Für uns ist die Kumbh Mela eine Erfahrung, die wir nie vergessen werden. Man hat uns als Ausländer ohne Vorurteile in den Kreis derer aufgenommen, die allein aus Glaubensgründen nach Allahabad kamen. Wir haben gemeinsam das höchste Fest der Hindus erleben dürfen und wir haben unsere Füße mit dem heiligen Wasser des unsterblichen Ganges benetzt.

Dank an die Organisatoren sowie an alle, die uns während der Kumbh Mela begleiteten und für unsere Sicherheit sorgten. Besonderer Dank aber gilt unserem Guide Swaroop Singh für seine unendliche Geduld und sein Verständnis.

Namaste

Erika, Barbara, Walter und Henry

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