Spiegel des Paradies – Tanjung Puting NP
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Mit dem Klotok durch den Tanjung Puting NP
Flussboot – Klotok im Tanjung Puting NP

Reisebericht

Indonesien – Im Reich der roten Waldmenschen

Michél Pretzsch, 21.06.2018

Das unaufhörliche Zirpen zahlreicher Zikaden durchdringt die schwülwarme Luft im nächtlichen Regenwald, während das bleiche Licht des zunehmenden Mondes die Silhouetten der Urwaldriesen in den Himmel zeichnet. Wir sitzen an Deck unseres indonesischen Flussbootes, trinken lauwarmes Bintang-Bier, rauchen Nelkenzigaretten, reden – und starren dabei in die dunkle Schönheit der Nacht. Es ist unglaublich. Schon oft hatte ich mir diese Reise – diesen Augenblick – im Kopf ausgemalt. Doch all meine Vorstellungen, all meine Erwartungen, wurden bereits innerhalb der ersten Stunden in einem solchen Maße übertroffen, dass mir der Gedanke an das bisher Erlebte ein tiefzufriedenes Lächeln ins Gesicht zaubert. An keinem Ort der Welt möchte ich in diesem Augenblick lieber sein als hier: Im Dschungel des Tanjung-Puting-Nationalparks auf Kalimantan.

Erst spät legen wir uns im Inneren des Klotok-Bootes auf unsere wackeligen Matratzen. Behütet durch ein großes Mückennetz schlafen wir ein und erwachen erst, als der Morgennebel schon verflogen ist und die Sonne den Regenwald in ein warmes Licht hüllt.

Klo-tok. Klo-tok. Klo-tok. Das gleichmäßige Stampfen des Bootsmotors begleitet unsere Reise auf den schmalen Armen des Senkonyer-Flusses. Langsam gleiten wir durch die milchig braunen Fluten, vorbei an uneinsehbaren Wänden aus verschlungenen Urwaldriesen, welche die Geheimnisse des Waldes behüten. Nur vereinzelt entdecken wir in den Büschen am Ufer grölende Gruppen von Nasenaffen oder verschrecken bunte Eisvögel, die schimpfend davonfliegen. Doch man bekommt eine vage Vorstellung darüber, welche Vielfalt sich im Inneren des grünen Baummeeres verbirgt.

Die Sonne brennt vom blauen, teils wolkenbehangenen Himmel, als wir den Hauptstrom des Senkonyer verlassen und in einen tiefschwarzen Nebenstrom hineinstoßen. Innerhalb weniger Sekunden bekommt man den Eindruck, in einen völlig neuen Teil der Welt vorzudringen. Die glatte Wasseroberfläche reflektiert Baumkronen und Büsche, sowie die sich immer höher auftürmenden Wolkenberge. Dieser Teil des Flusses beeindruckt mit einer solchen Schönheit, dass man ihn als Spiegel des Paradieses bezeichnet. Am Bug des sich langsam dahinschiebenden Klotoks sitzend, mit Blick auf die unbeschreibliche, vorbeiziehende Landschaft kann man sich diesen Worten nur anschließen. Es ist der wilde Garten Eden. Und wir sind glücklich ihn besuchen zu dürfen.

Monoton gleiten wir weiter stromaufwärts. Sanft schneidet der hellblaue Bug dabei in das schwarze Wasser und wirft kleine weiße Wellen ins seitliche Schilf. Vor uns verdunkelt sich der Himmel. Wind kommt auf und erste schwere Regentropfen peitschen auf den friedlichen Strom. Der graue Schleier des Regengusses legt sich über den Dschungel und verwischt die Spiegelbilder auf der Wasseroberfläche. Wir flüchten ins Innere des Bootes, genießen die frische Brise und lauschen den unverwechselbaren Geräuschen des Tropenregens.

Nachdem sich dieser wieder gelegt hat, steuert der Bootsführer das Klotok in Richtung der Anlegestelle. Routiniert wird das Boot an einem schmalen Holzsteg vertäut und das pochende Geräusch des Motors abgewürgt. Wir springen von Bord und laufen in den Wald. Unruhe macht sich breit. Es ist schwül. Warm. Der unverkennbare Geruch des feuchten Waldbodens liegt in der Luft. Vorsichtig tasten wir uns voran.

Im dichten Blätterdach verfangen sich die zarten Strahlen der Sonne, als ein unerwartet lautes Knacken von der Anwesenheit der Orang-Utans kündet. Blätter rascheln. Sich zuvor noch an den Bäumen festklammernde Regentropfen fallen zu Boden. Ein erneutes Brechen – dann erspähen wir eine rote Schönheit sich majestätisch durch die Wipfel schwingen. Geschickt beugt sich die Orang-Utan-Mutter nach vorn und angelt sich so einen der Äste, welcher sie ihrem Ziel wieder ein Stück näher bringt, zieht ihn zu sich heran und klettert über. Schwerfällig biegt sich der neue Halt in ihre Richtung, während der bisherige mit einem Rauschen zurückschnellt. Das sich im langen Fell der Mutter festkrallende Jungtier starrt niedlich in den friedlichen Dschungel. Als wäre es das Normalste der Welt in zehn Metern Höhe über unseren Köpfen durch den Regenwald zu turnen. Und das ist es ja auch – im Reich der roten Waldmenschen.

Alles was wir kennen, rückt in diesem Moment in weite Ferne. Mit nur wenigen Metern Abstand beobachten wir die Tiere beim Fressen. Einer nach dem anderen klettert aus dem schützenden Dach des Regenwaldes herunter zur Futterstelle. Bananenschalen fallen zu Boden. Neugierige Gesichter blicken uns an. Wir sind nur Eindringlinge in einem der bedrohten Paradiese Borneos. Auf einer Insel, auf welcher sich neue Straßen und Ölpalmplantagen kontinuierlich wie fette, unersättliche Raupen durch die unwiederbringlichen Wälder fressen. Doch kommen wir nicht mit Kettensägen und Benzinkanistern, sondern mit Fotoapparaten und Wasserflaschen. Um die Schönheit der Natur mit unseren eigenen Augen zu sehen. Um zu berichten. Und vielleicht auch, um der einheimischen Bevölkerung Perspektiven abseits der Holzhackerfirmen zu geben und so diesen wertvollen Lebensraum zu bewahren. Vielleicht ist dies auch nur eine naive Hoffnung, doch das wirklich Schöne an unserem Aufenthalt im Nationalpark ist, dass die Menschen die wir hier treffen sich der Einzigartigkeit ihrer Heimat bewusst sind. Und für viele steht der Erhalt des Lebensraums der Menschenaffen an oberster Stelle. Dieses starke Bewusstsein sowie das daraus gelebte Handeln habe ich so in noch keinem anderen Nationalpark Asiens erlebt. Es ist schön, das so zu sehen.

Die Zeit vergeht. Wir studieren gerade ein durch einen Busch kletterndes Weibchen, als es hinter uns platscht. Wir schrecken auf. Keine zwei Meter neben uns steht ein gewaltiges Orang-Utan-Männchen. Als wäre nichts gewesen, spaziert der Pfützentreter sich auf seinen Handballen abstützend, weiter in Richtung des Bananenhaufens, welchen die anderen Waldbewohner aufgrund der Anwesenheit des ranghohen Männchens verlassen. Aus sicherer Distanz beobachten wir jede Bewegung des riesigen Tieres. Mustern den kraftvollen Körper. Die langen roten Haare. Die ledernen Hände. Die friedfertig dreinblickenden Augen.

Nach einer Weile macht er sich wieder auf den Weg in den Wald. Im Abstand nur weniger Meter bleiben wir hinter ihm. Er selbst lässt sich Zeit, inspiziert unterwegs Äste und Sträucher und setzt sich immer wieder entspannt auf den Boden, um auch uns zu beäugen. Es ist wieder einer dieser Momente, welche man nur schwer beschreiben kann. Einer der Momente, welche man vor Aufregung erst schwer, dann jedoch wochen- wenn nicht gar jahrelang genießen kann. Immer wieder treffen sich unsere Blicke. Immer weiter folgen wir dem Affenmann auf dem schmalen nassen Pfad durch den Dschungel. Bis er sich entscheidet uns zu verlassen und im dichten Dickicht zu verschwinden. Zufrieden und überwältigt von dem Erlebten lassen wir ihn ziehen. Ein letztes Knacken, ein letztes Rascheln – dann verschwimmt das Rot seines Fells mit dem Grün der Büsche.

Ohne große Worte laufen wir zurück zum Boot. Wahrscheinlich verarbeitet jeder von uns innerlich das beeindruckende Erlebnis, welches uns soeben wiederfahren ist. Erst der vertraute Geruch gebackener Bananen holt uns zurück in die Wirklichkeit, dass wir im Zuge sind das grüne Paradies des Tanjung-Puting-Nationalparks zu verlassen. Die Nacht fällt bereits über uns herein, als wir langsam flussabwärts gleiten. In den Nipapalm-Mangroven bei Kumai vertäuen wir das Klotok und genießen einen letzten Abend an Bord. Wir trinken lauwarmes Bintang-Bier, rauchen Nelkenzigaretten, reden – und starren in die dunkle Schönheit der Nacht. Eine Lichterkette aus unzähligen Glühwürmchen blinkt uns zum Abschied.

Auf nach Indonesien! Euer, Michél Pretzsch

Fluss im Tanjung Puting NP
Orang-Utan klettert versteckt
Roger – Orang-Utan-Männchen in Tanjung Harapan
Orang-Utan im Dschungel bei Pondok Tanguy