Panzernashorn im Kaziranga NP
freundlicher Rajput
Blumenmarkt in Kalkutta
Fort Amber

Reisebericht

Indien – Einfach in eine völlig fremde Welt eintauchen

Birgit Vennemann, 28.07.2008

Indien?!

„Ich reise nach Indien“, nach diesem Satz habe ich viele neidvolle Blicke geerntet, aber auch Kritik, „nach Indien, den Anblick dieser Armut könnte ich nicht ertragen“ oder „Indien für nur zwei Wochen, das lohnt sich ja gar nicht“ und ähnliches. Und auch, „warum gerade Indien?“ Komisch, wenn jemand erzählt, er will nach Australien, fragt das niemand. Ja, warum will ich eigentlich nach Indien? Ich wollte einfach mal wieder richtig weit weg. Ich reise gerne auch in Deutschland und Europa, war in Kolumbien und Brasilien. Aber noch nie in einem Land, in dem es eine andere Religion gibt als in Deutschland. Ich hatte schon viele indische Romane bzw. Bücher über Indien gelesen. All diese Bücher haben gemeinsam, dass sie eine große verzweigte Geschichte ausbreiten, aber trotzdem gibt es immer einen roten Faden, der die Geschichte vorantreibt (siehe kurze Bücherliste am Ende des Textes). Dann Stichworte wie Yoga, Ayurveda. Ich bin als Naturwissenschaftlerin esoterischen Dingen gegenüber sehr kritisch eingestellt, aber auf meine verschiedenen Ayurveda-Tees, mit ihrer jeweiligen Wirkung, schwöre ich. Zudem zog mich die Mischung aus völlig Fremden, mit den Überbleibseln der vergangenen Kolonialzeiten an. Das köstliche indische Essen mit den unzähligen Gewürzen. Einfach in eine völlig fremde Welt eintauchen und trotzdem zu wissen, dass man sich mit englisch recht gut durchschlagen kann. In meinem Kopf gab es Bilder von dem Gandhi Film, den ich vor langer Zeit mal gesehen und der mich sehr berührt hatte.

Ankunft

Der Flug von Istanbul nach Delhi dauert 5 ½ Stunden. Wir fliegen über Nacht, wenn man aus den Fenstern schaut sieht man nichts, alles ist schwarz, nicht ein Licht. Sind wir gerade mitten über den Krisengebieten dieser Erde: Irak, Afghanistan oder Pakistan? Dann Ankunft in Delhi. Nach der Landung gelangen wir relativ schnell in die Ankunftshalle und wunderbar, dort steht auch schon ein junger Mann mit einem Schild, auf dem Helgas und mein Name zu lesen ist. Er begrüßt uns und führt uns mitten durch das ganze Gewühl ziemlich rasch heraus aus dem Gebäude, direkt zu einem wartenden Fahrzeug. Dort stellt er uns Ranjeet vor, er wird hier in Indien unser Fahrer sein. Rasch werden unsere Koffer eingepackt und schon stürzen wir uns mitten in das Straßengewirr Delhis. Es ist ungefähr sieben Uhr, draußen wird es hell. Die Stadt erwacht langsam. Noch sind nicht so viele Autos unterwegs. Wir sehen die ersten der dreirädrigen Taxis, an vielen Straßenecken schlafen Menschen. Einige sind schon wach und bereiten mit kleinen Gaskochern oder offenen Feuern ihr Frühstück. Auch Kinder sind dabei. Ganze Familien scheinen am Straßenrand zu leben. Es gibt viele kleine Stände, an denen etwas verkauft wird. Eine riesige, sicher zehn Meter hohe Statue. (Foto 1). Stände, Geschäfte und Autos – alles ist geschmückt mit Blumengirlanden aus orangefarbenen Blüten. Am Tag vorher fand das Lichterfest Diwali statt, ein wichtiges religiöses Fest der Hindus, zu dem sie alles mit Blüten schmücken, wie man uns erklärt. Helga und ich schauen staunend aus unserem Auto und vergessen fast, dass wir total übermüdet sind. Am Hotel angekommen, erklärt uns der junge Inder, dass unser Reiseleiter uns in zwei Stunden um zehn abholen wird zur Besichtigungstour durch Delhi. Zwei Stunden für Zimmer beziehen, Duschen, ausruhen, Frühstücken – o je. Aber egal, ich bin total aufgeregt und neugierig. Schlafe sogar tatsächlich ein Stündchen und treffe mich dann mit Helga auf der Dachterrasse.

Delhi

Es ist warm, aber nicht zu heiß, eine große Markise sorgt für Schatten. Einige junge Leute essen Bananen zum Frühstück, es ist ein bisschen Backpacker-Atmosphäre. Keine der jungen Frauen trägt ein Top mit Spagetti-Trägern oder anderes Schulterfreies, alle haben, wie in sämtlichen Reiseführern empfohlen, T-Shirts oder Blusen an, die die Schultern bedecken. Denn obwohl die indischen Frauen in den landestypischen Saris durchaus Haut zeigen, mit bloßen Schultern gilt man in Indien auf jeden Fall als zu nackt. Um 10 Uhr steht unser Reiseführer pünktlich in der Hotellobby. Er spricht deutsch, zwar nicht gerade fließend. Englisch kann er auch, genauso wie übrigens unser Fahrer, der schon draußen vor dem Wagen auf uns wartet. Und los geht’s. Im Vergleich zum eher ruhigen Morgenverkehr ist jetzt das Chaos ausgebrochen. Auf den mehrspurigen Straßen ohne jede Markierung überholen wir die anderen Fahrzeuge mal links, mal rechts, es gibt alte klapprige Autos, jede Menge Lkw, Taxis, Rikshas, Motorräder, Fahrräder, Fußgänger und erstaunlich viele ziemlich neu aussehende Fahrzeuge, die meisten sind japanische Fabrikate und natürlich die indischen Tatas. Helga und ich wissen gar nicht, wo wir zuerst hinschauen sollen. Die rasante Fahrt durch die Stadt lässt uns immer wieder vor Schreck die Luft anhalten, ständig denken wir, diesmal werden wir unseren Vordermann rammen. Dann die Leute auf den Straßen mit ihren bunten Kleidern, die ganze unglaubliche Geschäftigkeit, die um uns herum stattfindet, jeder hier scheint irgendetwas zu tun zu haben, verkaufen, reparieren, vorführen…und überhaupt die unglaubliche Menge von Menschen die hier herumwuselt. Plötzlich halten wir an und sollen schnell aussteigen, kaum haben wir unsere Fotoapparate, Kameras und Tuch um die Schulter gelegt, stehen wir schon auf der Straße. Unsere erste Besichtigung: die große Freitagsmoschee Jama Masjid, die Shah Jahan in den Jahren von 1644 bis 1658 aus rotem Sandstein erbauen ließ. Vor der Moschee müssen die Schuhe ausgezogen werden, viele liegen schon mehr oder weniger kreuz und quer vor dem Eingang, sie werden aber „bewacht“. Nachdem wir die Moschee durch ein Tor betreten haben, sehen wir, dass sie hauptsächlich aus einem großen Platz besteht, der von Mauern und Toren umgeben ist. Nur an einer Seite gibt es zum Platz hin geöffnete Räume die von hohen Kuppeln überdacht sind. Hier befindet sich auch eine langer Gebetsteppich. Fast mehr als das Gebäude und die Geschichte dazu, die unser Reiseleiter erzählt, bin ich von den ganzen Menschen hier beeindruckt. Ein paar Europäer, Amerikaner, Japaner und – viele Inder. Vor allem die Frauen mit ihren schönen, farbigen Saris oder die bunten Salwar Kameez (Hosenanzüge) beeindrucken mich sehr. Alle haben weit wehende Tücher auf elegante Weise über die Schulter, um den Kopf oder wie eine Schärpe um sich drapiert (Foto 2). Alle gehen so gerade und wirken dadurch sehr selbstbewusst und im guten Sinne stolz. Über dem offenen Platz kreisen zahlreiche Vögel, die wie unsere Milane aussehen, von weitem sieht man kleine viereckige Papierdrachen über den Dächern von Delhi und etwas abgedämpft durch die Mauern der Moschee dringt der Lärm von der Straße zu uns. In meinem übermüdeten Zustand kann ich immer noch nicht richtig glauben, dass ich in Indien bin. Ich fühle mich in eine ziemlich fremde Welt katapultiert. Unser Reiseleiter, er heißt Bhawani, bemüht sich, uns die indische Mogulzeit mit jeder Menge Zahlen und Namen, von denen ich vorher noch nie gehört habe, nahe zubringen (seit dem 12. bis ins 18. Jahrhundert hinein stand Nordindien hauptsächlich unter moslemischen Herrschern (Mogule)). Fast tut er mir ein bisschen Leid. Helga und ich sind heute nicht wirklich aufnahmefähig für so viel Neues und schon gar nicht für solche Details. Zudem sind wir ganz gefangen genommen von den indischen Alltagsszenen um uns herum. Als nächstes steht das Rote Fort auf dem Programm, es liegt praktisch gegenüber der Moschee.

Das rote Fort, ebenso wie die Moschee aus rotem Sandstein, war Sitz mehrerer Mogul-Herrscher und entstand auch unter der Ära von Shah Jahan. Nachdem wir durch eine Sicherheitskontrolle gegangen sind, betreten wir das Fort durch das Lahore-Tor (Foto 3) und gelangen in einen großen Park in dem sich die Audienzhalle, die Frauengemächer, das Herrschergebäude und verschiedene andere Gebäude, alle aus weißem Mamor, befinden. Die Gebäude haben sehr filigrane Verzierungen und Gitterfenster, schöne Einlegearbeiten mit bunten Halbedelsteinen, oft zu Blüten angeordnet. Auch einen „Spiegelsaal“ gibt es. Lauter kleine münzengroße Spiegel sind in Decke und Wänden eingearbeitet (Foto 4). Damals, als der Mogul hier mit seinem Hofstaat abends im Kerzen- oder Öllampenschein saß, ergab sich dadurch sicher ein wunderschöne Widerschein. Noch mehr beeindruckt hat mich aber die „Klimaanlage“. Zwischen den Mamorplatten des Bodens sind Rinnen gebaut, in denen damals Wasser floss, zum Teil auch unter den Platten, dies kühlte die Platten und die umgebende Luft und sorgte so für ein angenehmes Klima an heißen Tagen oder Nächten. Auch wir könnten nun eine derartige Erfrischung gebrauchen. Wir entschließen uns eine Mittagspause einzulegen. Nach einer kurzen Autofahrt stehen wir vor einem Restaurant. Innen sehen wir mehrheitlich Ausländer. Bhawani berät uns bei der Essensauswahl. Isst dann aber selbst nicht mit uns. Unser Essen schmeckt köstlich, nicht zu scharf aber sehr würzig. Nach einem Chai fühlen wir uns wieder halbwegs in der Lage zu neuen Taten aufzubrechen. Unser nächstes Ziel ist India Gate. Der riesige Triumphbogen soll an die indischen Soldaten erinnern, die im ersten Weltkrieg beim Einsatz für England gefallen sind. Links und rechts des India Gates erstreckt sich ein langer Park, der sich bis zu den Regierungsgebäuden hinzieht. Viele indische Familien nutzen den Park für einen Sonntagsspaziergang, zum Picknick, zum Spielen. Wir sind ganz beeindruckt von diesem Familiensinn, der sich überall zeigt. Inzwischen ist es halb vier und die für uns noch ungewohnte Hitze lässt langsam nach. Auch das Sonnenlicht ist nicht mehr so gleißend, sondern wird wie die Temperatur angenehm mild. Letzter Punkt unserer Delhi-Besichtigung ist ein Hindu-Tempel. Es ist kein historisches Gebäude, sondern noch ziemlich neu, wie unser Reiseleiter erklärt. Aus touristischer Sicht deshalb vielleicht nicht so interessant, aber für uns heute genau das richtige, wir wollen ja nicht nur etwas über vergangenen Zeiten erfahren, noch dazu ist es hier fast leer und das mitten in Delhi. Das tut uns Übernächtigten nach der heutigen Reizüberflutung gut. Wir genießen die Ruhe und das schöne Nachmittagslicht. Danach geht es zurück ins Hotel. Bhawani empfiehlt uns, im Hotel zu essen, außerdem sollen wir danach nicht alleine hinaus gehen. Falls wir das doch wollen, sollen wir uns bei ihm melden (per Handy). Hm, was soll das bedeuten? Aber heute sind wir zu müde, um das zu erforschen. Wir essen eine Kleinigkeit im Hotel, wagen uns kurz alleine auf die Straße und fallen dann ins Bett.

Agra

Die erste Nacht in Indien habe ich wunderbar geschlafen. Obwohl sich unser Hotel mitten in Delhi befindet, war es nachts nicht besonders laut. Nicht zum Beispiel so laut wie eine Nacht im Zentrum von Rom oder Neapel.

Nach dem Frühstück starten wir um 9.00 Uhr Richtung Agra, der Stadt des Taj Mahals. Zwischen Delhi und Agra gibt es eine gut ausgebaute autobahnähnliche Straße, wo der Verkehr in halbwegs geordneten Bahnen verläuft. Oder waren wir nur schon nach dem Großstadtverkehr in Delhi etwas abgestumpft? Unterwegs begegnen wir einer Rinderherde (Foto 5) mit riesigen Hörnern, ansonsten staunen wir über die vielen Motorräder und den vielen Menschen, die alle darauf Platz finden: Der Vater fährt, zwischen den Beinen hat er vor sich ein Kleinkind, hinten die Mutter, ein Baby im Arm, drei Taschen in der Hand und angezogen mit einem Sari, so dass die Tücher im Fahrtwind flattern (Foto 6). Unglaublich, dass das gut geht. Motorräder, auf denen weniger als drei Leute sitzen, haben seltenheitswert. Umso mehr ist uns bewusst, was es für einen Luxus ist, zu viert in unserem klimatisiertem Auto zu fahren. Es sieht übrigens ziemlich neu aus und ist auch eins der indischen Firma Tata. Diese stellt nicht nur Autos her, sondern besitzt auch die internationale Hotelkette Taj Group, Teeplantagen und auch erneuerbare Energien zählen zu den Geschäftsfeldern. Der Firmengründer Jamsetji Tata (1839-1904) begann als 25jähriger mit einem Textilunternehmen, später plante er Stahl- und Wasserkraftwerke und gründete ein Stiftung für die Ausbildung für technisch und naturwissenschaftlich Begabte. Auch dem heutigen Leiter der Firma, Ratan Tata, liegen Werte und soziale Verantwortung am Herzen. Kurz nachdem wir aus dem Indienurlaub zurückgekehrt waren, hat er übrigens ein neues Auto vorgestellt, das rund 1700 Euro kostet. Damit eben nicht mehr die Motorräder so waghalsig mit ganzen Familien besetzt durch die Straßen fahren, und – natürlich auch um damit Geld zu verdienen. Wie die indischen Straßen den zusätzlichen Verkehr verkraften, bleibt abzuwarten. Nach vier Stunden sind wir in Agra und fahren zum Gelände des Taj Mahal. Der Mogul Shah Jahan ließ das Mausoleum 1631 zum Andenken an seine Lieblingsfrau Mumtaz Mahal erbauen. Nach den unvermeidlichen Sicherheitskontrollen, spazieren wir durch einen großen von Mauern eingefasstem Park, gehen durch ein riesiges mit wunderschönen Ornamenten geschmücktes Tor und sehen das unglaubliche Taj Mahal. Ich bin überwältigt, ja es stellt sich wirklich ein Gänsehautgefühl ein. Es ist so groß, so weiß, so exotisch, es hat so schöne symmetrische Formen und die riesigen Kuppeln. Dazu die unzähligen Menschen, meist Inder. Wir bewundern wieder die Frauen in den schönen bunten Saris. Die jungen Inderinnen tragen Jeans oder andere „westliche“ Kleidung, haben aber fast alle ein Tuch umgeschlagen oder eine tunikaartige Bluse an. Wir gehen an den Wasserbassins vorbei auf das Taj Mahal zu. Um den umgebenen Platz betreten zu können, müssen wir wieder die Schuhe ausziehen. Es ist kaum zu schätzen, wie viel Paar Schuhe dort schon herum stehen, sicher rund 500, ob ich meine jemals wieder sehe? Fast rund um das Taj Mahal zieht sich eine Menschenschlange, in die auch wir uns einreihen, um das Innere zu sehen (Foto 7). Als wir nach rund einer halben Stunde am Eingang des Taj Mahals angelangt sind, ist die Sonne untergegangen. Es ist stockfinster. Wir betreten das Gebäude in dem nur ein kleines Lämpchen bei dem Schrein brennt. Bestimmt sind gleichzeitig mit uns rund 300 Leute in dem dunklen Gebäude, keiner sieht etwas, aber alle bleiben ruhig und benehmen sich, als wäre das ganz normal. Niemand wird laut, oder benimmt sich im Schutze der Dunkelheit daneben, ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl, ich müsste Angst vor Taschendieben oder ähnliches haben. Wieder draußen, sehen wir die schmale aufgehende Mondsichel. (Und sogar unsere Schuhe finden wir trotz Dunkelheit wieder.)

Zurück aus dem Park erleben wir unsere erste Rikshafahrt. Es ist ein seltsames Gefühl zu sehen, wie sich unser Fahrer nur für uns so abmühen muss, lieber würde ich selber fahren. Bhawani fragt, ob wir noch eine Teppichfabrik besichtigen wollen, Agra ist bekannt für seine wunderschönen Teppiche. Helga und ich sind eigentlich für diesen Tag schon übervoll an Eindrücken, aber so ist das eben, wenn man nur zwei Wochen verreist. Die Teppiche wollen wir uns jedenfalls nicht entgehen lassen und so betreten wir die kleine Fabrik. Der Händler begrüßt uns herzlich. An einem Knüpfgestell sitzt ein Mann und zeigt uns die Handgriffe des Teppichknüpfens, wir dürfen es auch selbst versuchen. Es ist gar nicht so einfach. Dann geht es in die Verkaufsräume, Es riecht nach Schafwolle und Unmengen von Teppichrollen sind an den Wänden aufgestapelt. Und auf dem Boden liegen viele in mehreren Lagen ausgebreitete Teppiche. Wir lassen uns auf Bänken nieder, bekommen den leckeren indischen Tee serviert und befinden uns plötzlich mitten im Verkaufsgespräch. Hilfe, wo ist Bhawani eigentlich, steckt er mit diesem Händler unter einer Decke, wie kommen wir hier wieder heraus ohne einen Teppich kaufen zu müssen? Obwohl, die Teppiche sind wirklich wunderschön, und wahrscheinlich von wirklich guter Qualität, und wahrscheinlich wirklich viel günstiger als zuhause und der Händler ist auch sehr nett. Er würde den Teppich per Schiff nach Deutschland schicken, damit wir ihn nicht während unserer ganzen Reise mit uns schleppen müssten. Fast hätte ich tatsächlich einen Teppich gekauft, allein weil ich den Gedanken so reizvoll fand, Wochen nach meinem Urlaub ein Paket aus Indien zu erhalten, mit einem wunderbaren Teppich, gekauft an dem Tag, an dem ich das Taj Mahal gesehen hatte. Aber ich habe mich dann doch zusammen gerissen, weil ich die Preise mangels Unkenntnis der deutschen Preise nicht einschätzen konnte. Zurück in Deutschland war ich dann fast ein bisschen traurig über meine Vernunft, vielleicht hätte ich doch einfach zugreifen sollen. Aber der Tag war noch lange nicht zu Ende. Und der Teppichhändler hatte noch mehr zu bieten als nur Teppiche. Es gab noch Tücher, Saris, Handgeschnitztes und, und, und. Bei einem Sari bin ich dann wirklich schwach geworden. Bezahlt haben wir übrigens mit Kreditkarte. Über das Geldumtauschen hätten wir uns vorher nicht so viele Gedanken machen müssen. Wie sich herausstellte, kann man in Indien auch im hinterletzten Dorf, auch dort, wo man kaum elektrischen Strom und fließend Wasser vermutet, mit Kreditkarte bezahlen, übrigens auch mit dem Handy telefonieren.

Fahrt nach Jaipur

Am Morgen besichtigten wir das Rote Fort in Agra, es wurde unter anderem bewohnt von dem Erbauer des Taj Mahal. Mit dem Bau dieses großzügiger Palast wurde 1565 unter dem berühmten Mogul Akbar begonnen. Bhawani wies uns auf viele Verzierungen auf Säulen und andere Steinmetzarbeiten hin, die neben muslimischen Ornamenten auch hinduistische und christliche Motive zeigten. Ein Zeichen für die damalige Toleranz und Offenheit gegenüber den anderen Religionen, für die Akbar bekannt war.

Langsam hatten wir das Gefühl, dass wir uns auf Bhawani verlassen konnten und auch unser Vertrauen in unseren Fahrer Ranjeet, ein Sikh, die als sehr zuverlässige Fahrer in Indien gelten, war enorm gewachsen. Wir verfolgten nicht mehr atemlos jedes Überholmanöver, sondern lehnten uns entspannt zurück und genossen die Fahrt.

Unser nächstes Ziel war der Bharatpur National Park. Hier sollte es zwar keine Tiger zu sehen geben, es handelt sich eher um ein interessantes Vogelrevier. Wir fuhren, wie viele andere Touris mit einer Rikscha in den Park hinein. Unser Rikshafahrer hatte ein gutes Auge für die Tiere, er wies uns auf eine Eule und einen Leguan hin, die wir ohne ihn niemals gesehen hätten. Später sahen wir noch Wasserschildkröten und zwei Schlangen. Schwierig war am Ende zu entscheiden, welches Trinkgeld für unseren Rikshafahrer angemessen war. Er hatte als Preis für die Fahrt 150 Rupien verlangt, wir haben ihm dann zusätzlich 150 Rupien gegeben (57 Rupien entsprechen einem Euro). Es ist zwar nicht viel Geld, aber immerhin das doppelte seines Lohnes, doch er war beleidigt und fing fast Streit deswegen mit uns an. Die Bemessung des Trinkgeldes ist nicht einfach, durch die vielen Reisenden hat sich der Tarif auch drastisch erhöht. Alle hier sind sehr nett und herzlich, aber auch sehr geldgierig. Wer weiß, wie viele Mäuler zu Hause zu stopfen sind, wer ums überleben kämpft, muss zwangsläufig geldgierig sein. Für uns ist es allerdings sehr schwierig, damit umzugehen.

Die Strecke zwischen Agra und Jaipur ist recht gut ausgebaut, trotzdem muss man in Indien für rund 200 Kilometer mehr als vier Stunden rechnen und mit Mittagspause kommt noch gleich eine Stunde dazu. Gegessen haben wir in Raststätten an den Schnellstraßen, die natürlich Sammelplätze für Touris waren, die einzigen Orte, an denen Inder mal nicht in der Überzahl waren. Das Essen war dort gut bis mäßig, aber immer ordentlich, das gleiche kann man auch über die sanitären Anlagen sagen. Die Preise waren leider oft höher als in den Hotels oder Restaurants in den Städten, für ein Essen mit Getränken und anschließendem Tee inklusive Trinkgeld haben wir dort meist sechs bis acht Euro bezahlt. In den Städten war es meist zwei bis drei Euro günstiger und vor allem immer ausgezeichnet.

Unterwegs hielten wir in irgendeinem kleinen Dorf mitten im Nirgendwo an. Wir gingen durch Gassen mit verschiedensten Verkaufständen für Fleisch, Gemüse, unglaublich viele Süßigkeiten, Gewürze, Obst, Drogerieartikel, Töpfe… (Foto 8). Wir versorgten wir uns mit Proviant in Form von Bananen, Mandarinen, Wassernüssen und Guaven. Das Gemüse in Indien ist übrigens gar nicht so exotisch, wie man vielleicht denken könnte. Es gibt Brokkoli, Blumenkohl, Zwiebeln, Kartoffeln, Bohnen, Spinat, Auberginen und Zucchini.

Als es dunkel wurde, gegen halb sieben, kamen wir in Jaipur, der „Pink City“ an. Jaipur ist die Hauptstadt des Bundesstaates Rajasthan, hat 1,5 Millionen Einwohner und wurde 1728 von Raja Jai Singh II. gegründet. Die Rajputen waren ein kriegerisches Herrschergeschlecht, die allerdings unter dem Mogul Akbar durch geschickte Verheiratungen mit dem Sultanat verbunden waren. Jaipur wurde nach altem hinduistischen Bautraditionen in einem Neun-Quadrate-Raster angelegt. Die Fassaden der Häuser sind rot angemalt, deshalb der Name. Unser Hotel war wunderschön – ganz orientalisch eingerichtet, die Wände mit floralen Ornamenten bemalt, viele Säulen und einem märchenhaften Restaurant auf dem Dach (Foto 9).

Jaipur

Auf uns wartet heute Amber Fort, dem ursprünglichen Herrschersitz der Maharajas, bevor die Stadt Jaipur gegründet wurde. Es liegt rund zehn Kilometer vor der Stadt. Nach unserer Ankunft reihen wir uns wie alle anderen Touristen in die Schlange ein, um auf „unseren“ Elefanten zu warten. Der Palast liegt auf einem Hügel, dessen Aufstieg fast jeder Besucher auf einem Elefantenrücken zurücklegt. Das macht den Touristen Spaß und nicht nur die Elefantentreiber verdienen daran, viele Verkäufer nutzen die Gelegenheit, ihren Schmuck und anderes, den wartenden Touristen anzubieten. Hat man es erst mal auf den Elefanten geschafft, stehen am Rande des Weges überall Fotografen, die einem später, wenn man den Palast verlässt, ihre hier geschossenen Bilder verkaufen wollen. Die Anlage des Palastes ist riesig, mit Vorhöfen, vielen einzelnen Gebäuden und Hallen, Treppen und Innenhöfen, Gängen, Zimmerfluchten für den Maharadscha und seine neun Frauen und den übrigen Hofstaat.

Helga macht Fotos, Bhawani telefoniert mit seinem Handy und ich verirre mich fast in den zahllosen Gängen, in denen ich mich plötzlich völlig alleine wiederfinde. Denn, obwohl viele Touristen aus dem In- und Ausland den Palast besichtigen, der Palast ist so groß, dass man trotzdem vieles ganz in Ruhe erkunden kann. Auch einige indische Schulklassen sind hier. Sie geben genau das gleiche Bild ab, wie Schulklassen in Stuttgart oder Köln. Essen ihr mitgebrachtes Vesper, trinken Cola, reden, hören dem Lehrer eher gelangweilt zu und fotografieren sich gegenseitig mit ihren Digitalkameras oder Handys (Foto 10). Am Ausgang halten uns die Fotografen die Bilder von uns entgegen. Sie müssen viel Erfahrung haben, um einzuschätzen, wann wir herauskommen, ich bin beeindruckt, über ihr Timing und wie gut sie ihren Job organisiert haben, kaufe Ihnen aber trotzdem kein Bild ab.

Weil es in Indien zu dieser Jahreszeit doch heißer ist als ich dachte, möchte ich noch gerne ein oder zwei der praktisch aussehenden Salwar Kameez kaufen. In einem Laden finde ich, natürlich nicht ohne die Hilfe von zwei Verkäufern, Tee und gefühlten 100 vorgeführten Kleidern zwei schöne Exemplare dieser Hosenanzüge. Sie sind allerdings nur zugeschnitten und müssen noch genäht werden. Schnell nimmt man meine Maße und verspricht mir die Kleider bis abends ins Hotel zu schicken. Langsam gewöhnen Helga und ich uns an die hiesige Art einzukaufen. Man darf das Umwerben nur nicht zu ernst nehmen. Wir fangen an es zu genießen, uns „stundenlang“ etwas vorführen zu lassen, Tee zu trinken, sich nett mit den Verkäufern zu unterhalten, um schließlich bei Gefallen etwas zu kaufen oder eben auch nicht.

Nach dem Einkaufen steht wieder Sight Seeing auf dem Programm: der Stadtpalast mit Museum und das 1728 bis 1734 von Stadtgründer Jai Singh II. erbaute Observatorium. Der Stadtpalast ist sehenswert. Besonders beeindruckend sind die größten Silbergefäße der Welt. In diesen transportierte der Maharadscha Pratap Singh II. auf seiner Reise nach England zur Krönung König Edwards VII. Gangeswasser, um nicht auf seine rituellen Reinigungszeremonien verzichten zu müssen. In einem Teil des Palastes wohnen noch heute die Nachkommen der Maharajafamilie. Die Astronomie war ein großes Hobby von Jai Singh II.. In seinem Observatorium stehen viele Sonnenuhren, die auch heute noch bis auf die Sekunde genau die Zeit anzeigen. Auch viele Astrologische Instrumente und Aufbauten gibt es hier.

Als wir beim Hotel eintrafen, waren meine Kleider schon da. Ich zog sie gleich an und praktisch für den Rest des Urlaubs nicht mehr aus. Sie waren aus Seide und total angenehm zu tragen. Luftig und dazu völlig knitterfrei, sogar nach 20stündiger Zugfahrt sah ich damit immer noch gut angezogen aus.

Obwohl wir am Tag schon viel erlebt hatten, wollten wir noch gerne etwas durch die Straßen schlendern. Erstens hatten wir uns seit Beginn der Reise kaum bewegt, da ja immer das Auto für uns bereit stand, zudem wollten wir einfach gerne noch ein bisschen von der abendlichen Stadt sehen. Doch Bhawani hatte uns geradezu beschworen, nicht ohne ihn los zu ziehen (klar, falls uns je wirklich etwas passieren sollte, wäre das natürlich ein nicht wieder gut zu machender Gesichtsverlust und obendrein das Ende seiner Karriere als Reiseleiter). Bei unseren wirklich ganz kleinen Ausflügen ca. 200 Meter rund um das Hotel haben wir selbst schnell gemerkt, niemand, vor allem nicht Leute, die Geld haben, laufen einfach so herum. Es ist nicht so, dass niemand auf den Straßen ist. Aber jeder, der etwas auf sich hält, fährt von A nach B mit dem Taxi oder Rikscha und geht nur so wenig wie möglich zu Fuß. Und so werden auch wir ständig von Fahren verschiedenster Transportmittel gefragt, wo wir hinwollen und ob man uns mitnehmen soll. Das ist für mich sehr gewöhnungsbedürftig und ich fühle mich fast ein bisschen eingesperrt.

Pushkar

Bevor wir nach Pushkar aufbrechen besichtigen wir noch den Palast der Winde, eigentlich nur eine Fassade, hinter der die Frauen des Palastes standen und das Treiben auf den Straßen beobachten konnten, an dem sie selbst nicht teilnehmen durften (Foto 11). Die Fahrt nach Pushkar dauerte rund 3 Stunden. Es waren zwar nur 145 Kilometer, aber die Straßen wurden immer schmaler, am Ende fuhren wir auf Sandpisten. Pushkar ist eine heilige Stadt mit über 100 Tempeln und einem See im Zentrum, an dem die Inder ihr Puja, eine Opferhandlung, darbringen und rituelle Waschungen durchführen. Zur Zeit bereitet sich die ganze Stadt auf den großen Kamelmarkt vor, der jedes Jahr im November nach dem ersten Vollmond stattfindet. Nicht nur viele Kameltreiber sind mit ihren Herden in der Stadt, gleichzeitig findet ein Jahrmarkt mit Karussells und unzähligen Händlern statt. Natürlich zieht dieses Ereignis viele Besucher, wie auch uns, an. Zum ersten Mal ermahnt Bhawani uns, dass wir auf unsere Sachen besonders aufpassen sollen und uns nichts von den Leuten aufschwatzen lassen sollen. Wir kaufen Blumen für ein Puja, sprechen die Worte die Bhawani uns beibringt und lassen die Blüten in den See gleiten. Wir besichtigen einen Tempel, der Ganesha geweiht ist. Hier herrscht ein riesiger Trubel, alles andere als die ehrfürchtige Stille, die man in deutschen Kirchen gewöhnt ist. Trotzdem spürt man den innigen Glauben der Menschen, der in meinen Augen zum Teil fast hysterische Züge annimmt. Da Ganesha Süßigkeiten liebt, kaufen wir am Tempeleingang eine Tüte klebriger Bonbons, die wir ihm später opfern werden, was Bhawani nicht davon abhält auch selbst welche davon zu essen. Später erreichen wir dann den Kamelmarkt. Viele der Tiere haben Muster ins Fell rasiert und bunte Bänder in die Mähnen geflochten. Sie brummen auf ganz merkwürdige Weise. Die Händler sitzen beisammen und kochen oder essen, oder füttern ihre Tiere und verschönern sie. Die Sonne geht langsam unter, wir laufen durch den Sand und schätzen den Wert der Kamele, schließen Wetten ab, welches teurer ist oder älter und fragen anschließend die Kamelhändler, wer Recht hat (Foto 12). Viele Kinder sind unterwegs und wollen uns etwas verkaufen oder spielen etwas auf Musikinstrumenten vor. Sind wir nicht vorher immer gewarnt worden, „kaufe nichts, gebe Bettlern nichts oder Du wirst sie nie wieder los und ziehst nur noch Weitere an“. Trotzdem haben wir den Kindern etwas gegeben. Und ja, statt vorher drei standen plötzlich zehn um uns herum. Doch nachdem Bhawani mit ihnen geredet und gescherzt hatte, machten wir aus, das sie uns noch ein Lied singen sollen, danach jeder etwas Geld kriegt und dann Schluss ist. Und genauso lief es dann auch ab. Auch auf die Gefahr hin, dass ich für grenzenlos naiv gehalten werde: Ich fand, diese Kinder sahen glücklich aus (Foto 13). Ich weiß, sie waren wahrscheinlich wirklich bettelarm. Aber sie strahlten uns mit ihren intelligenten Augen an, lachten und hatten ihren Spaß auch untereinander, sie wirkten wirklich in keinster Weise elendig oder Mitleid erregend. Überhaupt habe ich während unsere ganzen Reise nur sehr wenige Menschen getroffen, auf die diese Beschreibung zugetroffen hätte. Ich habe auch nie ein Problem mit lästigen Bettlern gehabt, denen ich aber auch grundsätzlich nie Geld gegeben habe. Allerdings unterstütze ich über Plan international seit über einem Jahr ein Patenkind in Indien, womit ich mir mein gutes Gewissen vielleicht ein Stück weit erkauft habe.

Abends gab es im Hotelgarten ein großes Büffet und eine Tanzgruppe trat auf. Allerdings nahm der Abend auf Grund eines Stromausfalls ein relativ schnelles Ende. Das Hotel hatte zwar einen Generator, aber wir waren sowieso schon satt und müde und gingen schlafen. Ranjeet übernachtete in einem Sikh-Tempel. Es ist üblich, dass reisende Sikhs in ihren Tempeln Unterkunft und eine Mahlzeit bekommen, wie Bhawani uns erklärte.

Fahrt nach Jodpur

Heute steht uns die bislang längste Fahrt bevor, 280 Kilometer für die wir sechs Stunden brauchen werden. Doch während des Fahrens wird uns nie langweilig, es gibt so viel zu sehen, die Landschaft, kleine Dörfer, Ziegen, Kamele, Rinder, Hütten vor denen Kuhfladen zum Trocken ausgebreitet liegen. Außerdem sind wir heute zum Mittagessen eingeladen, bei der Schwester von unserem Reiseführer. Zur Feier des Tages habe ich mir deshalb den Sari angezogen und Bhawani hat seinen Turban aufgesetzt. Als wir unterwegs durch ein Dorf fahren, schlägt Bhawani vor, eine Schule zu besichtigen. Wir betreten den Schulhof, gerade ist Pause und die Jungen und Mädchen mit ihrer blauen Schuluniform schauen uns neugierig an. Fragen wo wir herkommen, wie wir heißen, was wir machen, ob wir verheiratet sind, Kinder haben und so weiter. Auch ein Lehrer schlurft Zeitung lesend zu uns. Wir unterhalten uns ein bisschen, machen Fotos. Aber ein richtiges Gespräch will nicht in Gang kommen. Zudem wollen wir auch den Unterricht nicht stören, so fahren wir bald weiter.

Im nächsten Ort kaufen wir Obst und andere Mitbringsel für die Schwester, sie wohnt in einem kleinen Dorf, in dem es nicht einmal einen Laden gibt. Zur Begrüssung bekommen wir unseren roten Punkt auf die Stirn und Süßigkeiten. Die Schwester wohnt nicht nur mit ihrem Mann, sondern verschiedenen Tanten und weiteren Mitgliedern der Familie zusammen. Wir sitzen im Innenhof des zweistöckigen Gebäudes und werden mit Tee bewirtet. Später malt uns die Schwester kunstvolle Ornamente mit Henna auf die Handflächen und wir essen zusammen. Helga und ich am Tisch, Bhawani, seine Schwester und ein Cousin auf dem Boden. Die drei schieben sich zu Beginn gegenseitig den Reis in den Mund. Eine sehr liebevolle Art, das Essen miteinander zu teilen. Das Essen schmeckt köstlich. Wir loben die Tanten, die es gekocht haben und werden in die Küche eingeladen. Sie ist ziemlich klein, aber sehr ordentlich und sauber. Viele Gewürzbehälter stehen auf einem Regal. Gekocht wird auf einem Gasofen, alles wird in Schüsseln oder Tellern aus Edelstahl zubereitet. Irgendwann ruft Ranjeet an, um uns daran zu erinnern, das wir weiter müssen, wenn wir vor Einbruch der Dunkelheit in Jodhpur sein wollen. So bedanken wir uns für alles und verabschieden uns.

Ranjeet kommt bei unseren Ausflügen nie mit. Er bleibt immer am Auto zurück. Überhaupt spricht er sehr selten mit uns, eigentlich nur wenn Bhawani gerade schläft, erzählt er uns ein bisschen über das, was gerade so am Straßenrand zu sehen ist. Wahrscheinlich haben die zwei das so ausgemacht.

Beim Hotel angekommen, beschäftige ich durch meine zahlreichen Einkäufe inzwischen schon zwei Träger, die mein Gepäck zum Zimmer befördern. Selbst tragen kommt hier übrigens gar nicht in Frage. So ist es immer wichtig, genug Kleingeld als Trinkgeld griffbereit zu haben. Zwischen 10 und 50 Rupien haben wir meist gegeben. Nach dem Essen und einen unserer üblichen Miniausflüge surfen Helga und ich im Internet, das fast in jedem Hotel für sehr wenig Geld zur Verfügung steht.

Jodpur

Jodpur ist eine Stadt mit 850.000 Einwohnern. Am Rande der Stadt erhebt sich eine mächtige Festung, Meherangarh Fort. Durch verschiedene Tore erreicht man ihr Zentrum. Besonders beeindruckend sind hier die unglaublich filigranen Steinmetzarbeiten. Große Teile der Fassaden bestehen aus fein bearbeiteten Steingittern. Das hätte man bei der von außen so trutzig wirkenden Festung gar nicht vermutet. Von der Festung aus kann man auf die Stadt herabsehen, von der ganze Viertel aus blau bemalten Häusern bestehen. An einem Tor der Festung sind einige Handabdrücke zu sehen, diese sind von Satis, Witwen von Maharajas, denen ein Tod auf dem Scheiterhaufen gemeinsam mit ihrem verstorbenen Ehemann bevorstand. Ein dunkles Kapitel der indischen Geschichte, das noch gar nicht solange her ist. Ein Frauenleben in Indien ist auch heute oft noch alles andere als einfach. Schon über die Geburt eines Mädchen fällt die Freude oft sehr viel weniger groß aus, als bei Jungen. Besonders hoch ist die Abtreibungsrate von weiblichen Embryos. Immer noch wird oft bei der Heirat eine hohe Mitgift von der Brautfamilie erwartet, die diese fast in den Ruin treibt. Auch kommt es vor, dass Frauen nach der Hochzeit und Erhalt der Mitgift vom Bräutigam oder seiner Familie getötet werden. Ehen werden übrigens immer noch sehr häufig von den Eltern arrangiert. Oft sind die jungen Leute sogar froh darüber.

Fahrt nach Jaisalmer

Immer weiter geht es Richtung Wüste. Wir sind froh über unsere Klimaanlage. Jaisalmer hat rund 50.000 Einwohner von denen einige in der das Stadtbild beherrschenden Festung leben. Es gibt viele kleine Gassen, zum Teil wunderschöne alte Häuser, viele Läden. In viele Häuser kann man hineinsehen, fast alle Türen stehen offen, man sieht die Leute beim Essen, beim Ausruhen, beim Arbeiten. Die Kinder spielen draußen Kricket oder Fangen. An beiden Seiten der Gassen gibt es eine Rinne in denen zumindestens die Kinder und Männer ungeniert ihr Geschäft erledigen. Entsprechend unappetitlich riecht es manchmal. Kühe und kleine Schweine, die mit ihrem braunen Fell ein bisschen wie Wildschweine aussehen, gibt es überall in der Stadt. Man fragt sich immer, wo sie etwas zu fressen finden. Oft wühlen sie im Plastikmüll herum, der sich überall an den Straßenrändern findet. Wir besichtigen eine Schmuckwerkstatt. Jaisalmer ist berühmt für seine filigranen Silberarbeiten. Die Werkstatt und Verkaufsräume sind alle in das Wohnhaus der Familie integriert, die ganze Familie arbeitet mit. Abends gehen wir ins Internetcafe neben dem Hotel (Foto 14). Ein junger Mann betreibt es zusammen mit einem Kiosk, auch telefonieren kann man hier, was überhaupt nicht teuer ist. Fünf Minuten nach Deutschland kosten nur etwas mehr als ein Euro.

Wüste

Am nächsten morgen besichtigen wir einen Jain-Tempel. Dies ist eine spezielle hinduistische Glaubensrichtung. Die Anhänger essen kein Fleisch und tragen auch kein Leder. Schuhe Gürtel oder Jacken aus Leder sind für sie also tabu. Bhawani hat schon oft versucht, uns die hinduistische Religion mit ihren vielen Gottheiten näher zu bringen. Das ganze ist eine sehr komplizierte Angelegenheit, am ehesten zu vergleichen mit der Götterwelt der griechischen Antike. Zudem hat manchmal ein Gott mehrere Namen, mit denen jeweils ganz verschiedene Eigenschaften verbunden sind. Einige Götter gehen auf Gestalten zurück, die wirklich gelebt haben. Die Ausübung der Religiosität scheint von einer sehr individuellen Art zu sein. Jeder sucht sich „seine“ Gottheit aus und kann auf seine Weise mit ihr in Kontakt treten.

Mittags fahren wir in die Wüste zu einem Camp, in dem wir die kommende Nacht verbringen werden. Wir sind inzwischen schon ziemlich nah an der pakistanischen Grenze, unterwegs sehen wir immer wieder Konvois mit Soldaten und militärische Anlagen. Dann erreichen wir unser Camp, es besteht aus vielen Zelten, die um einen Platz herum aufgebaut sind. Die Zelte sind wunderschön eingerichtet und haben sogar jedes einen kleinen abgetrennten Raum mit Waschbecken und WC, was für ein Luxus mitten in der Wüste. Wir lassen uns im Schatten vor dem Zelt nieder, lassen uns einen Tee servieren und schreiben SMS in die Heimat, wo gerade eine neue Arbeitswoche begonnen hat und Minusgerade herrschen, während wir warten, dass die Hitze ein wenig nachlässt.

Nach und nach beziehen andere Urlauber ihre Zelte. Eine indische Großfamilie, möglicherweise aus Delhi oder Mumbai, mit vielen jungen Mädchen, Tanten und einem halbwüchsigem Sohn, der die meiste Zeit mit seinem Gameboy spielt, während die anderen mit ihren Kameras viele Bilder machen. Helga und ich sind die einzigen Ausländer hier.

Um vier Uhr beginnt unsere Kameltour. Gar nicht so ohne, sich im Sattel zu halten während das Kamel aufsteht. Langsam schaukelnd geht es durch die Sanddünen, es ist eine märchenhafte Atmosphäre. Die Schatten von uns und unseren Kamelen sehen wir auf den gegenüberliegenden Dünen (Foto 15). Wir erleben den Sonnenuntergang in der Wüste – traumhaft. Das abendliche Büffet ist köstlich. Dazu tritt eine Tanzgruppe mit einer Art Singspiel auf. Zum Schluss fordert sie zum Mittanzen auf. Die Tänzerinnen und Tänzer zeigen uns die Bewegungen, sie sind für mich ganz ungewohnt. Auf dem Weg zu unseren Zelten genießen den Sternenhimmel in der Wüste.

Jaisalmer

Am nächsten morgen kehren wir nach Jaisalmer zurück. Die Stadt wurde 1156 von dem Rajputenfürst Jaisal gegründet. Wir besichtigen die Festung, die dadurch, dass sie bewohnt ist, sehr lebendig wirkt. Es gibt viele kleine Gässchen, man kommt sich vor wie ins Mittelalter versetzt. Später besuchen wir ein Puppentheater. Es ist in eine Art Heimatmuseum integriert. Beides wird von einem ehemaligen Lehrer betreut, dem das Wissen um die Traditionen und die Geschichte Rajasthans sehr am Herzen liegt. Abends verabschieden wir uns von Ranjeet. Wir werden schon etwas wehmütig, dass Ende unseres Urlaubs naht. Ranjeet wird schon von der nächsten Reisegruppe in Agra erwartet.

Zugfahrt

Morgens besichtigen wir ein Haveli, ein palastartiges Haus eines reichen Kaufmanns, das typisch für Rajasthan ist. Hier gibt es Büros und Wohnräume zu sehen, noch bis vor ca. 40 Jahren war das Haus bewohnt. Später geht es zum Zug, vorher schnell noch genug Wasser einkaufen. Für uns sind Plätze in der ersten Klasse reserviert. Doch Achtung, in Indien gibt es mehrere erste Klassen. Wir sind nicht in der besten Ia, sondern Ib. Das bedeutet ein ganzer Waggon mit nicht abschließbaren Abteilen, die Liegen sind nur durch einen Vorhang vom Gang getrennt. In diesem Zug sollen wir 20 Stunden fahren? Und das schlimmste kommt noch, wir sehen ständig etwas über den Boden huschen, es sind Mäuse! Und nicht nur eine oder zwei, sondern eine ganze Herde. Da hilft nur noch sich auf die oberen Liegen zurückzuziehen. Nach einigen Partien „Schiffe versenken“, den letzten für Notfälle wie diesen gekauften Whiskey zu trinken und zu schlafen. Am nächsten Morgen lernen wir ein paar von den Mitreisenden kennen aus England, Irland, Norwegen und den USA. Der Zug fährt ziemlich langsam, leider sind die Fenster milchglasartig angelaufen, so dass man nicht besonders gut herausschauen kann. Je näher wir Delhi kommen, sehen wir immer öfter Siedlungen mit schachtelartigen Häusern gebaut aus Brettern oder Blechen, Slums.

Am Bahnhof in Delhi engagiert Bhawani einen Träger für unser Gepäck. Wir haben Mühe ihm zu folgen durch das ganze Gewühl, aber da er unsere Koffer auf seinem Kopf balanciert, verlieren wir ihn nicht so schnell aus den Augen, auch wenn er schon weit vor uns ist. Vor dem Bahnhof wartet schon ein Fahrer auf uns. Das ist wirklich perfekt organisiert, fast geht alles ein bisschen zu schnell. Wir fahren zum Hotel und verabschieden uns dort von Bhawani. Um ein Uhr nachts werden wir vom Hotel abgeholt und zum Flughafen gebracht. 24 Stunden später werde ich wieder zu Hause sein, zurück in meiner Welt und mit einer großen Portion Fernweh nach dem märchenhaften, fremden, unglaublichen Indien.

Bücherliste:

  • Arundhati Roy „Der Gott der kleinen Dinge“
  • Chitra Divakaruni „Die Hüterin der Gewürze”
  • Hermann Hesse „Sidhartha“
  • Salman Rushdie „Mitternachtskinder“ und „Shalimar der Narr“
  • Lois Bromfield „Der große Regen“
  • Vikas Swarup „Rupien! Rupien!“
Taj Mahal