Und so haben wir bereits auf unserer ersten Ausfahrt eine Begegnung mit dem „großen Blauen“.
Im Reich von Moby Dick
Im Frühjahr ziehen die großen Bartenwale auf ihrer ewigen Wanderung an den Azoren vorbei – der perfekte Zeitpunkt für einen Abstecher zur Inselgruppe mitten im Atlantik. Ich wollte es sehen, das größte Lebewesen, das je auf der Erde existiert hat: den Blauwal. Und den vielleicht berühmtesten Zahnwal, den Pottwal, dem mit dem Roman „Moby Dick“ ein ewiges Denkmal gesetzt wurde.
Meine „Zentrale“ für die nächsten Tage ist Madalena auf Pico. Der kleine Ort gruppiert sich um den Fährhafen, in dem die Schiffe von der Insel Faial ankommen. Auch die Walbeobachtungstouren starten hier. Einem Überbleibsel aus der Zeit des Walfanges – der auf den Azoren immerhin noch bis in die 1970er Jahre betrieben wurde – ist es zu verdanken, dass man hier nie auf gut Glück aufs offene Meer hinausfährt. Die sogenannten Vigias, Ausgucke an Land, melden, wo sich Wale befinden, so dass die Botte sehr gezielt ausfahren und die Sichtungschancen für die Gäste maximiert werden. Und so haben wir bereits auf unserer ersten Ausfahrt eine Begegnung mit dem „großen Blauen“. Blauwal heißt er übrigens, weil er oft lange direkt unter der Oberfläche bleibt und immer wieder zum Atmen kurz den Kopf hebt, bevor er in die Tiefe taucht – der Körper des Wales ist in dieser Zeit als türkis-blaue Silhouette sehr gut vom Boot aus sichtbar.
Lernreiche Walbeobachtung
Während wir darauf warten, dass der Wal wieder auftaucht, lernen wir unheimlich viel über die Giganten der See – über ihre Wanderrouten, wo und was sie fressen, wie man einzelne Exemplare voneinander unterscheiden kann und wie die verschiedenen Arten unterschieden werden (an der Höhe und Form des Blases, der Geschwindigkeit beim Abtauchen, ob der Wal die Fluke zeigt beim Abtauchen usw.). Tauchen die Wale wieder auf, manövriert der Skipper vorsichtig und immer mit sehr respektvollem Abstand das Boot in die Richtung des Wales. Ziel ist es immer, das Verhalten des Tieres nicht zu verändern.
Auf mehreren Ausfahrten können wir neben Blauwalen (sogar mit – völlig untypisch für Blauwale – Fluke beim Abtauchen vor der Kulisse des Pico) auch einen Finnwal, Delfine (darunter eine große Gruppe Rundkopfdelfine), portugiesische Galeeren (eine sehr giftige Quallenart), Schildkröten und zahlreiche Seevögel beobachten. Und am letzten Tag bekomme ich sogar noch meinen Wunsch nach dem Pottwal erfüllt – wenn auch bei eher schwierigen Bedingungen mit viel Wind und hohen Wellen.
Vulkanische Insel Pico
Wenn keine Ausfahrten stattfinden, erkunde ich die Insel Pico und die Nachbarinsel Faial. Die vulkanisch entstandenen Inseln zeigen eine enorme Vielfalt an Landschaften, von steilen Küstenabschnitten über saftiggrüne Wiesen, auf denen Rinder weiden, kleinen Häuschen aus Vulkangestein und blühende Gärten, flechtenbewachsene, windgebeugte Bäume und, über allem thronend, der mächtige Vulkan Pico, der höchste Berg Portugals.
Trotz ihrer Schönheit sind die Azoren nach wie vor ein eher unbekanntes Urlaubsziel und man kann in aller Ruhe wandern, Rad fahren oder mit dem Mietwagen die Insel(n) erkunden. Die Uhren ticken hier langsamer als in Mitteleuropa, die Einheimischen besitzen die Gelassenheit, die für Inselbewohner so typisch ist. In urigen Restaurants, die noch nichts von „Touristenbuden“ haben, bekommt man (wirklich) fangfrischen Fisch und Meeresfrüchte zu erstaunlich kleinen Preisen und im Supermarkt findet man den immens leckeren Käse der Azoren, der auf jeder Insel ein wenig anders schmeckt. Zum Baden in den Meerwasserpools ist es jetzt im April noch zu kühl, aber es gibt nichts Schöneres, als den Abend mit einem Glas Picowein ausklingen zu lassen, der untergehenden Sonne zuzuschauen und den Wellen zu lauschen. Und dabei ein wenig ehrfürchtig darüber zu sinnieren, dass es da draußen ist: das größte Lebewesen der Erde.