Reisebericht

Mauretanien – eine Wüstenrallye irgendwo zwischen Paris und Dakar

Karsten Weder, 06.12.2021

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Der geneigte DIAMIR-Reisende ist das Unvorhergesehene gewohnt und hat die Gelassenheit für Veränderungen schon im Gepäck.

Wenn man von Deutschland aufgrund geänderter Einreisebestimmungen Marokkos schon nicht mehr via Casablanca nach Nouakchott fliegen kann, um eine Tour im Westen der Sahara zu starten, dann fliegt man eben über Istanbul und Dakar. Zum Glück mussten wir nicht erst nach Qatar.

Wer später in Mauretanien ankommt, der muss auch früher wieder los. Kaum angekommen, saßen wir nach einem gemeinsamen Frühstück im Hotel Halima auch schon in den bereitstehenden Toyota- Pickups und brausten durch die Wüste in Richtung Nordosten nach Akjoujt, anfangs über Asphalt, später nur noch über sandige und steinige Pisten. Wir waren schon bald ein Teil der Sahara und freundeten uns mit den Gegebenheiten an. Wir, das waren 8 Reisende, 4 Fahrer, 2 Tourenleiter und ein Koch, die sich auf 4 Geländewagen verteilten. Vom ersten Moment fühlte es sich an, als wäre man Teil einer Rallye durch die Wüste, auf den Spuren der legendären Rallye Paris – Dakar. Es hätte aus der Luft bestimmt toll ausgesehen, die vier Autos teils nebeneinander durch die Wüste preschen zu sehen. Die Fahrzeuge – das wurde schon am Anfang klar – haben einiges auszuhalten abseits der Straße. Mal ist der Untergrund weich und tief, mal steinig und hart. Für die Reifen eine ganz schöne Strapaze. Für die Fahrer auch. Der Reisende kann sich während dessen mit dem Ausblick vergnügen.

Die westliche Sahara bot uns neben der Weite der schier endlos ausgeräumten Landschaften auch Abwechslung in Form von kleinen Siedlungen an der Straße, verwinkelten Bergdörfern mit Strohhütten auf felsigen Hügeln, vorbeiziehende Kamelherden und schlussendlich einen malerischen Sonnenuntergang am Rande einer goldgelb schimmernden Wanderdüne mit ihrem Muster vom Winde verwehter Kämme und Sandwellen. Rasch brach die Dunkelheit herein. Ein Abendessen in geselliger Runde beendete den Tag und ließ uns alsbald in den aufgestellten Zelten verschwinden.

An die Abläufe einer solchen Reise gewöhnt man sich relativ schnell. Am Morgen, zum Mittag und am Abend sitzen alle auf Klappstühlen um einen großen Tisch herum. Die Mannschaft sorgt für den Auf- und Abbau des Lagers, der Koch Mussa fabriziert Salate, Gebratenes und alles, was man an einfachen aber schmackhaften Gerichten braucht, um gestärkt das Tagesprogramm zu absolvieren.

Der zweite Tag führte uns zum Pass von Tifoujar, einer malerischen Komposition aus steil aufragenden Felsen und sich darum windender Sandtäler, die sich an den schroffen Canon schmiegen. Hier unter einer schützenden Akazie sein Biwak aufzuschlagen, hatte etwas Märchenhaftes. In solchen Momenten genossen wir auch die Stille, welche eine solche Reise durch die Wüste mitbringt. Ein Fahrer brachte uns nach der Mahlzeit den obligatorischen und zeremoniell aufgeschäumten Tee. Momente wie aus Tausend und einer Nacht.

Im „Weißen Tal“ gab es zwar auch nur gelben Sand, dafür stachen aus diesem aber die fast weißen Felle der jungen Kamele besonders schön hervor. Eine Stute mit drei Jungen fraß an den Zweigen einer Akazie. Solche Tierbeobachtungen sollten wir noch des öfteren genießen können. Abwechslung in die Wandermenagerie der Höckertiere brachten große Ziegen- und Schafherden sowie vereinzelt in kleinen Gruppen auftauchende Esel. Es ist faszinierend, all diese Tiere in einer Gegend zu sehen, die so lebensfeindlich und trocken wirkt, dass man sich nur schwer vorzustellen vermag, wie sie aus den raren Blättern der dornenbewehrten Akazien und der kargen Gräser im Sand genug Wasser erhalten können.

Auf dem weiteren Weg boten uns Bewohner der Bergdörfer hin und wieder auch Schmuck und Handwerksprodukte an, die man nach einem kleinen Verkaufsgespräch auch recht günstig erwerben konnte. Der Handel war Sache der Frauen in ihren bunten Kleidern und Tüchern, die uns von den Vorzügen der angebotenen Ware zu überzeugen versuchten. Der Massentourismus mit seinen gleichartigen Produkten hat es noch nicht bis hierhin geschafft. Die Hütten der Bergbewohner sind überwiegend in traditioneller Bauweise mit Wackersteinen, Lehm und Stroh errichtet. Da gerade keine Dattelsaison war, standen die Häuser allerdings vielfach leer. Erst zur Erntezeit zieht es die Nomaden in die Palmenhaine zurück.

Die erste Übernachtung in einer einfachen aber schönen Herberge ermöglichte den Genuss, sich den Sand unter der Dusche abzuspülen. Grundsätzlich sorgte die Kombination aus Übernachtungen im Zelt, in Herbergen und im Hotel für eine passende Abwechslung aus Naturabenteuer und Reisekomfort.

Am Tag drei steuerten wir die UNESCO-Weltkulturerbe-Stadt Ouadane an. Auf dem Weg dorthin erklommen unsere Fahrer eine Serpentinenstraße hinauf zum Atar-Plateau, auf dem es merklich kühl war und ordentlich stürmte. Auch das Wetter war nie langweilig oder eintönig. Der Wind blies ganz ordentlich durch die Kleider. In Agrour machten wir Halt, um prähistorische Felszeichnungen zu bewundern, die davon Zeugnis legen, dass es hier auch klimatisch andere Zeiten gab, in denen Pflanzen und Tiere reichlich vorhanden waren.

Auch für die einst mächtige Karawanenstadt Ouadane mit bis zu 10.000 Einwohnern dürfte das mangelnde Wasser eine immerwährende Herausforderung gewesen sein. Dass sie zerfiel und an Bedeutung verlor, hatte aber wohl eher geostrategische Gründe. Was heute an Ruinen noch erhalten ist, lässt erahnen, welche Bedeutung dieses Handelszentrum in der Vergangenheit hatte. Heute beheimaten die Wände der einstigen Karawansereien Klippschliefer. Die ein wenig an Meerschweinchen erinnernden Tiere scheinen den Verfall Ouadanes eher nicht zu bedauern. Für sie ist es ein idealer Lebensraum.

Die zweite große Wüstenmetropole der Region und von noch größerer Bedeutung war Chinguetti, welche wir am vierten Tag unserer Reise ansteuerten. Bevor Mauretanien seinen heutigen Namen erhielt, war es schlicht das Land von Chinguetti. Das sagt wohl alles über den Rang der auch heute noch von vielen Gläubigen als heilig empfundenen Stadt.
Auf dem Weg dorthin machten wir Rast in der Oase Tanouchert. Hier bekamen wir nicht nur einen Tee und die Gelegenheit, etwas Kunsthandwerk zu bestaunen, sondern wurden auch Zeuge eines in dieser Gegend nun wirklich seltenen Ereignisses: Regen. Es ist faszinierend, die Gebilde im Sand zu beobachten, welche die wenigen Tropfen zu errichten in der Lage sind. Mit einem Male schien der Sand von Minikratern übersäht. Den Akazien und Grasbüschen dieser Gegend werden auch diese wenigen Tropfen willkommen gewesen sein.

Im Gegensatz zu Ouadane musste Chinguetti zweimal neu errichtet werden, da der jeweilige Vorgänger vom Sand begraben wurde. Vom alten Teil sind nur ein paar Reste wieder freigeweht. Der mittlere und architektonisch bedeutendste Teil beherbergt nicht nur eine sehenswerte Ruinenstadt sondern in dieser auch historisch wertvolle Bibliotheken, welche sich in Obhut von Familien befinden und auf diese Weise bis heute erhalten blieben. Einst lebten in Chinguetti bis zu 20.000 Menschen. In den Hochzeiten des Transsahara-Handels bestanden Karawanen zum Teil aus bis zu unvorstellbaren 30.000 Kamelen. Neben diesem wirtschaftlichen Gesichtspunkt spielte die Stadt aber auch als Pilgerzentrum und Sitz von Gelehrten eine große Rolle. Hier trafen sich diejenigen, welche zur Hadsch nach Mekka aufbrachen. Hin und zurück dauerte eine solche Reise etwa ein Jahr. Es war für uns erhebend, einen Einblick in diese Geschichte und schlussendlich auch in so manches alte Buch hinter den Mauern der Stadt zu bekommen.

Der fünfte Tag unserer Reise bescherte uns wieder pittoreske Landschaften mit hochgelegenen Pässen, von denen wir beeindruckende Aussichten in das Weit der gemaserten Felsformationen und changierenden Sandwüsten genießen konnten. Wir kamen erneut dem einfachen und ursprünglichen Alltag der hier siedelnden und teils noch nomadisch lebenden Berber recht nahe. In einer Hütte war eine Kamelschlachterei zu sehen, an einer anderen Hütte wurde Kamelmilch angeboten. Wo immer wir auch waren, trafen wir auf gastfreundliche Menschen.

Den Höhepunkt des Tages bildete aber eine echte Oase, wie man sie sich in seiner Phantasie vorstellt. Zwischen Dattelpalmen plätschert ein kleiner Bach mit klarem Wasser. Von steil aufragenden Felsen tropft das Wasser aus moosigem Gestein in das Grün der darunter wachsenden Pflanzen. Eine sehr besondere Szenerie und geradezu unwirklich inmitten der Wüste. Sogar das Baden war in dem klaren Wasser in einigen kleinen Becken möglich.

Zu diesem gemütlichen und lauschigen Plätzchen waren die Markthallen von Atar ein ziemlicher Kontrast. Atar ist heute das wirtschaftliche und politische Zentrum der Region Adrar. Hier bekommt man alles, was man benötigt. Einen längeren Aufenthalt über die notwendigen Besorgungen hinaus lohnt der Ort allerdings nicht.

So folgten wir am Tag sechs gern wieder den Pisten in die Weiten der Sahara. Der Tag wurde von zwei Giganten bestimmt. Zum einen trafen wir auf den vermeintlich längsten Eisenerzzug der Welt, der in bis zu 200 Waggons das schwere Gut zum Hafen von Nouadhibou verfrachtet. Zum anderen begegneten wir Ben Amira, dem wohl drittgrößten Monolithen der Welt.

In Choum nutzten wir die Gelegenheit, uns einigen Reisewagen zu nähern, die hier darauf warteten, samt dem Eisenerz demnächst zur Küste geschleppt zu werden. Bei genauerem Hinsehen erkannte man auf einem der Reisewagen sogar die ehemalige Eigentümerin – die tschechische Staatsbahn. Ein wahrhaft weitgereister Zug. Die Stühle waren aus den Abteilen entfernt und durch einfache Pritschen ersetzt worden. Etwa 12 Stunden harren die Passagiere dort im Zug aus, ehe sie die Küste erreichen. Ein Abenteuer für echte und hartgesottene Bahnfans.

Wir freuten uns dagegen, die Reise in den wesentlich komfortableren Geländewagen fortsetzen zu können. Die Felsen von Ben Amira und Beni Aicha, die wir bald darauf erreichten, sind Inselberge, die – eingebettet im gelben Wüstensand – besonders gut zur Geltung kommen und deren rundhüttenartige Silhouetten schon von weitem als Orientierungshilfe ausgemacht werden können. Während Ben Amira der größere Monolith ist, verzaubert die etwas kleinere Felsformation Beni Aicha durch ihre Schönheit. Als großartige Ergänzung dieses erstklassigen Fotomotivs findet sich am Rand auch noch ein kleiner Garten mit Skulpturen, welche Künstler aus den herumliegenden Felsbrocken erschaffen haben. Dieser Ort verströmte eine geradezu magische Energie, lud zum Meditieren und zum Genießen der fabelhaften Wüstenlandschaft ein. Hinzu kam des Nachts ein wolkenloser Himmel und ein atemberaubend hell leuchtendes Sternenzelt, was manchen sogar dazu verleitete, neben dem Zelt zu nächtigen.

Der siebente Reisetag bestand in der Überfahrt entlang der Bahnstrecke an die Küste nach Nouadhibou. Was sich wenig spektakulär anhören mag, entpuppte sich als ein wahres Eisenbahnabenteuer. Wir hatten das große Glück, den Zug auf der Strecke bei einem Zwischenhalt aus nächster Nähe zu sehen, die Lok zu besteigen und sogar ins Führerhaus zu gehen. Ein Fotoshooting mit, am, auf und im Zug. Bei so viel Eisenbahnromantik schlossen wir das lange Gefährt natürlich als „unseren“ Zug ins Herz, den wir immer wieder überholten, vorbeiziehen sahen und wieder hinter uns ließen. Der Schnellste war er nicht.

Einer Hotelübernachtung mit dem geschätzten Komfort von Bad und Dusche in Nouadhibou folgte am achten Tag die Einfahrt in den Nationalpark Arguin, einem offensichtlich geschätzten Winterquartier unserer an Nord- und Ostsee brütenden Watvögel, die hier in großen Schwärmen dem sich ändernden Saum des Wassers am Ufer flink folgten oder zurückwichen.

Nach Tagen in der Wüste aus Sand und Stein war der Anblick des Atlantischen Ozeans eine willkommene Abwechslung und ein schöner Kontrast. Unsere Zelte schlugen wir in den Dünen direkt hinter dem Cap Taferit auf. Wir lauschten dem Coral des Meeres, wateten barfuß durch das flache Wasser und freuten uns, Urlaub an einem nahezu menschenleeren Strand verbringen zu dürfen.

Der neunte Tag führte uns weiter nach Süden, vorbei an geschäftigen Fischerdörfern, Kolonien von Kormoranen auf Zäunen, Gruppen von Pelikanen am Ufer und von Flamingos im seichten Wasser. Vereinzelt putzte ein Fischer sein trocken gelegtes Boot oder kümmerte sich um das Sortieren der Fanggeräte. An diesem Küstenabschnitt geht man vornehmlich auf Tintenfischfang. Dazu lässt man lange Leinen mit daran befestigten Bechern in die Tiefen des Atlantiks sinken. Die Vielbeiner nutzen diese Becher oder Eimer als Versteck und werden samt ihres verhängnisvollen Unterschlupfs aus dem Wasser gezogen. Der Fang aus Fisch und Kalmaren wird gleich wenige Meter weiter an der Straße verkauft.

Hatten wir tags zuvor noch in den flachen Uferdünen gezeltet, schlugen wir unser Nachtquartier nunmehr auf einer riesigen gelbsandigen und mit Tausenden von Muschelschalen dekorierten Wanderdüne am Kap Timiris auf, deren Fuß sich bis zum Strand erstreckte. Ein grandioser Platz, um die Sonne am Horizont verschwinden zu sehen und seinen Gedanken an eine wunderschöne Reise in einem Land aus Tausend und einer Nacht im Westen der Sahara freien Lauf zu lassen.

Unsere Rallye führte uns schließlich zurück nach Nouakchott, zurück von Sandpisten auf Landstraßen und von der Einsamkeit der Wüste in den Trubel der geschäftigen Hauptstadt Mauretaniens. Hier besuchten wir noch das interessante Nationalmuseum, einen großen, lebhaften Markt und trafen die nötigen Vorbereitungen für den Corona-regelkonformen Rückflug. Es funktionierte alles reibungslos. Als der Flieger nach einer Zwischenlandung in Dakar gen Istanbul abhob, war es, als säße man noch immer im Geländewagen und schaukelte im Rallyerausch die Sanddünen auf und ab. Es war eine schöne Reise.

Karsten Weder