Reisebericht

Nepal – Endlich die magische 7.000 Meter Grenze zu überschreiten

Oliver Schoenbacher, 01.12.2010

Expedition auf den Himlung Himal, 7.126m

Nachdem ich 2006 mit der Besteigung des Illimani in Bolivien die 6.000 Meter Marke geknackt hatte, verstärkte sich in den letzten Jahren mein Drang, nun endlich die magische 7.000 Meter Grenze zu überschreiten.

Die Suche nach einem geeigneten Berg gestaltete sich langwierig, sind doch etliche Siebentausender in Tibet, Nepal, Pakistan, Indien und russischen Nachfolgerepubliken angesiedelt. Da ich aber schon 2004 anlässlich einer Trekkingtour in das Basislager des Mount Everest, Nepal und seine Menschen kennengelernt hatte, fiel meine Wahl auf den 7.126 m hohen Himlung Himal in Nepal.

Dieser ‚Berg der Winde’ gilt als mittelschwerer Siebentausender, wurde erst 1993 erstbesteigen und gilt wegen seiner exponierten, nur durch mehrtätigen Fußmarsch erreichbaren Lage im nepalesich-tibetischen Grenzgebiet nach wie vor als Geheimtipp.

Ich schloss mich der Dresdener Expeditionsagentur ‚Diamir’ an und wir starten am 7.Oktober zu zwölft am Frankfurter Flughafen nach Nepal. Unser Team besteht aus Expeditionsleiter Lutz, sechs Deutschen, darunter mit Marlene die einzige Frau, zwei Tirolern und drei Steirern, neben mir Herbert aus Bärnbach und Peter aus Gratkorn.

Schon am frühen Morgen nach unserer vorabendlichen Ankunft in der Hauptstadt Kathmandu startet die zehnstündige, auf Grund der unvorstellbaren Verkehrsverhältnisse abenteuerliche Busfahrt in den Westen Nepals. Im Nachhinein betrachtet waren die beiden Busfahrten vermutlich der gefährlichste Teil der Expedition….

Im Dorf Beshishar endet die Straße und auf nur 830 m inmitten tropischer Landschaft startet unser Anmarsch ins Basislager. Die gewaltige Menge an Expeditionsgepäck wird von Eseln transportiert, begleitet werden wir von den beiden einheimischen Bergführern Jamba und Lila sowie einem dreiköpfigen Küchenteam. Die ersten drei Tage marschieren wir auf der berühmten Annapurna Trekkingrunde durch abwechslungsreiche Landschaft. Im Dorf Koto verlassen wir die Zivilisation, phantastische Ausblicke auf die Annapurna Kette begleiten unseren weiteren Weg. In Phugeon, dem letzten Dorf, haben wir das Glück im dortigen Kloster einer buddhistischen Zeremonie beiwohnen zu dürfen. Tags darauf erreichen wir bei heftigem Schneefall den in 4.850 m gelegenen Platz des Basislagers auf einer großen Wiese. Plätze für die Zweimannzelte werden eingeebnet, Küchen-, Ess- und Toilettenzelt aufgestellt, Ausrüstung, Verpflegung, Kocher und Zelte für die drei Hochlager sortiert. Tags darauf kommt ein buddhistischer Priester (Lama) vom Kloster Phugeon herauf um eine ‚Puja’ abzuhalten, jene traditionelle Zeremonie, bei der die Berggötter für unseren Aufstieg gnädig gestimmt werden sollen. Zum Abschluss bekommt jeder Teilnehmer vom Lama persönlich einen Glücksbringer um den Hals gehängt. Ein bewegender Moment…

Es folgt der erste Aufstieg ins Hochlager 1, jeder mit einem mehr als 20kg schweren Rucksack beladen, muss doch alles erforderliche Material nach oben transportiert werden. Der Weg führt zunächst über die gewaltige Moräne des nördlichen Pangrigletschers, in 5.300m betreten wir schließlich den Gletscher. Durch ein Labyrinth aus immer größer werdenden Seracs (Eistürme) erreichen wir den Platz des ersten Hochlagers in 5.700 m. Nun heißt es in den Zelten zu dritt zusammen zu rücken und unverzüglich mit der wichtigsten Tätigkeit – Schneeschmelzen – zu beginnen. Zur Vorbeugung gegen Höhenkrankheit muss besonders viel getrunken werden, hier oben sollten es schon sechs Liter täglich sein. Anfänglich noch angenehm sonnig, verwandelt sich der Platz sofort nach Sonnenuntergang in einen regelrechten Kühlschrank, sodass sich jeder sofort und gerne in die Daunenschlafsäcke zurückzieht.

Nach einer ersten somit wirklich kalten Akklimatisierungsnacht steigen wir am nächsten Morgen wieder ins Basislager ab.

Zwei Tage später sind wir zurück im Hochlager 1, wieder Übernachtung und Weiteraufstieg. Der Weg dorthin erweist sich als technische Schlüsselstelle, muss doch eine 400m hohe, bis zu 50 Grad steile Gletscherstufe überwunden werden, der Weg durch ein Labyrinth aus Spalten und Seracs gefunden und an den schwierigsten Stellen mit Fixseilen versichert werden. In einer Gewaltleistung spure ich den gesamten Weg ins zweite Hochlager durch meist knietiefen Pulverschnee alleine.

Hochlager 2 wird auf einem windigen Plateau in 6.100 m errichtet, nach einer Akklimatisierungsnacht steigen wir abermals ins Basislager ab, wo in den folgenden zweieinhalb Ruhetagen alle Kräfte für den im günstigsten Fall fünftägigen Gipfelsturm mobilisiert werden. Drei Teilnehmer und der Expeditionsleiter hatten in der Zwischenzeit aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig auf den Gipfelgang verzichten müssen. Wie immer wenn wir im Basislager anwesend sind, verwöhnt uns unser Koch Rub Lama dreimal täglich mit riesigen Portionen anwechslungsreicher Kost.

Am 26.10. geht es zum dritten und letzten Mal rauf ins Hochlager 1, tags darauf nochmals durch die Schlüsselstellen ins Hochlager 2. Am folgenden Tag betreten wir Neuland, umgehen den Vorgipfel und sehen nun erstmals die mächtige, 800 Meter hohe Gipfelpyramide des Himlung Himal. In 6.400 m errichten wir Hochlager 3, müssen im abschüssigen Gelände in mühevoller Arbeit erst kleine Plateaus für die Zelte graben. (Foto ‚Hochlager3.JPG’) Diese schützen wir mit Mauern aus Schneeziegeln vor dem unablässig vom tibetischen Hochland her wehenden, eisigen Wind.

Die folgende Nacht ist kurz, um 4 Uhr aufstehen, Schnee schmelzen, Tee kochen, ohne Appetit ein wenig Suppe, Püree und Pudding runter würgen und raus aus dem vereisten Schlafsack. Im Zelt messen wir minus 14 Grad, nun gilt es mit Köperverrenkungen zu dritt auf engstem Raum im Zelt Daunenbekleidung und die gesamte Ausrüstung anzulegen. Draußen ist es zwar fast windstill, dafür mit mindestens minus 25 Grad extrem kalt.

Um 05.30 Uhr starten wir zur langen, extrem ausgesetzten Querung Richtung Gipfelpyramide, welche wir bei Tagesanbruch erreichen. Nun beginnt der lange, qualvolle Aufstieg, ich finde aber sofort einen guten Schritt Rhythmus und habe mich bald mit Lila Sherpa abgesetzt. Zum Glück erweisen sich die Schneeverhältnisse als perfekt, pickelhart gefroren aber kaum Blankeis, ideal fürs Steigeisengehen. In kleinem Zickzack geht es trotz riesiger Anstrengung höchst konzentriert nach oben, auf Seilsicherung müssen wir aus Zeitgründen verzichten. Im Rhythmus 25 Schritte – Pause – weiter oben 15 Schritte – Pause geht es langsam aber stetig nach oben, kaum merklich näher rückt der höchste Punkt. Auf ca. 7.000 m müssen noch tiefe Schneeverwehungen überwunden werden, dann noch ein letzter Steilaufschwung. Ein letztes Mal ramme ich den Eispickel in den Schnee und ziehe mich nach oben, ein letzter Schritt, dann stehe ich um 11.35 Uhr des 29.10.2010 am winzigen, stark überwächteten, nach allen Seiten steil abfallenden Gipfel des 7.126 m hohen Himlung Himal. (Foto ‚Gipfelsieg am Himlung Himal – 7.126m.JPG’) Lila folgt mir, nimmt die nepalesische Fahne aus dem Rucksack, gemeinsam halten wir sie triumphierend gegen den stahlblauen Himmel und umarmen uns.

Von den Qualen des sechsstündigen Aufstieges erlöst, schweift mein Blick in alle Richtungen: Im Süden ein unüberschaubares Gipfelmeer mit den Achttausendern Annapurna 1 und Daulaghiri, westlich der mächtige Achttausender Manaslu, zum Angreifen nahe und im Norden als Kontrast die braune, endlose Hochebene Tibets. Rund 45 Minuten bleibe ich trotz eisiger Kälte und immer stärker werdendem Wind am Gipfel. Im Abstieg kommen mir weit auseinandergezogen die anderen entgegen, am Ende haben sieben den Gipfel erreicht, wir Österreicher hatten gegenüber den Deutschen natürlich mit 4:3 die Nase vorne…

Der Abstieg fordert nochmals volle Konzentration, nach insgesamt zehn Stunden falle ich erschöpft im Hochlager 3 in den Schlafsack.

In der Nacht zieht ein heftiger Sturm auf, der nächste Morgen ist zwar wolkenlos, doch Windgeschwindigkeiten von bis zu 70 km/h machen den Zeltabbau zur Tortur. An einen Gipfelgang wäre an diesem Tag nicht zu denken gewesen. So schnell wie möglich verlassen wir diesen unwirtlichen Ort, runter ins Hochlager 2, Abbau der restlichen Zelte und ein letztes Mal durch den gefährlichen Eisbruch. Wir bauen die verbliebenen Zelte des Hochlagers 1 ab, mit mindestens 25 kg am Rücken kämpfen wir uns mit letzter verbliebener Kraft ins Basislager.

Am nächsten Tag fallen dort 20 cm Schnee, ein Gipfelversuch wäre unter diesen Verhältnissen in weite Ferne gerückt. Tags darauf treffen wie vereinbart die Esel ein und nach 17 Tagen verlassen wir das Basislager. In fünf langen Etappen erreichen wir unseren Ausgangspunkt und fahren zurück nach Kathmandu. Dort feiern wir im Everest Steak House mit Unmengen ‚Everest’ Bier endlich gebührend unseren Gipfelsieg und gleichzeitig den Abschied vom wunderbaren Himalaya Staat Nepal und unseren Wegbegleitern, die wir als Freunde lieb gewonnen haben.