Nomadenfestspiele
North Basecamp
Lager 2
Lager 2

Reisebericht

DIAMIR Khan Tengri Expedition 2023

Markus Walter, 10.09.2023

32 Jahre nachdem ich 1991 das erste Mal im Tienschan und am Khan Tengri war, sollte es Ende Juli 2023 erneut an das „Matterhorn des Tienschan“ gehen. Nachdem die Tour im Mai mit 12 Teilnehmern ausgebucht war, mussten verletzungsbedingt kurz vor dem Start gleich drei Teilnehmer kurzfristig absagen, so dass wir letztlich nur noch zu neunt nach Kasachstan flogen. Mit Unwettern über Deutschland und infolgedessen erheblicher Flugverspätung ging es zunächst etwas holprig los, doch der Flug via Istanbul erwies sich dadurch gleich als eine sehr gute Wahl, denn bei 2 täglichen Verbindungen nimmt man dann eben einfach den nächsten Anschlussflieger und selbst das Umbuchen des Gepäcks hat mit einer Ausnahme reibungslos funktioniert. So kamen wir statt zeitig früh dann allerdings erst am Vormittag in Almaty an und hatten auf dem Hinweg nicht wirklich Zeit für großartige Besichtigungen. Wichtiger war ohnehin der Einkauf in einem riesigen und sehr gut sortierten Supermarkt, wo wir unsere Lebensmittelvorräte für die Hochlager-Tage noch um all diejenigen Dinge ergänzten, die wir nicht von zu Hause aus mitgenommen oder per Aircargo vorausgeschickt hatten. Danach ging es auf landschaftlich eindrucksvoller Strecke nach Karkara, von wo aus die Hubschrauber ins Basislager starten. Dort gab‘s ein herzliches Willkommen im Zeltcamp, gefolgt von einem zünftigen Abendessen und dann krochen alle ziemlich müde von der langen Anreise schnell in die Schlafsäcke…

Am nächsten Tag bescherte uns der Zufall ein unerwartetes Highlight: nur wenige Kilometer vom Zeltcamp entfernt fanden Nomadenfestspiele statt, zu denen Kasachen aus nah und fern mit ihren Jurten und Reitpferden angereist waren. Als wir ankamen, war das riesige Festivalgelände mitten in den Weiten der Steppe übersät von Jurten, Wettkämpfern mit ihren Pferden, Besuchern und parkenden Autos. Leider hatten wir nur begrenzt Zeit, denn die auf traditionelle Art ausgetragenen Reiterwettkämpfe waren ein spannendes Spektakel, dem man hätte noch deutlich länger zuschauen können. Wir wollten jedoch noch die nahe gelegene Grenze zu Kirgistan überqueren, um von dort aus eine erste Akklimatisationswanderung zu unternehmen und mit dem Hubschrauber ins Basecamp zu fliegen.

Am darauffolgenden Tag erwanderten wir bei bestem Wetter den 3191m hohen Karkara Peak und genossen das herrliche Panorama vom Gipfel, ehe es zurück ins Camp ging. Am nächsten Morgen dann bestiegen wir den Hubschrauber und in 35min spektakulärem Panoramaflug legten wir die 190km ins Basislager zurück. Es gibt Leute, die sagen, allein dieser Flug wäre die weite Reise nach Zentralasien wert. Und was soll ich sagen: sie haben recht! Wohl selten im Leben hat man Gelegenheit, die Schönheit von Mutter Erde so intensiv von oben betrachten zu können, wie während dieser reichlichen halben Stunde. Das unentwegte Klicken der Kameras endete erst mit der Landung mitten auf dem nördlichen Inyltschek-Gletscher. Wir verabschiedeten den Hubschrauber, schleppten unser umfangreiches Expeditionsgepäck ins nahe gelegen Basecamp und bezogen die super-luxuriös auf Holzplattformen errichteten Basislagerzelte. Das Basecamp hat mit Küchen- und Mannschaftszelt, Toiletten, einer beheizbaren Dusche/Sauna und sogar super funktionierendem W-LAN trotz seiner Lage auf fast 4000m mitten im Hochgebirge eine ganze Menge Komfort zu bieten. Wir richteten uns häuslich ein und unternahmen noch am selben Tag eine erste Erkundungstour auf dem Gletscher.

Schon am nächsten Tag, nunmehr schon Tag 6 unser Expedition, stiegen wir mit Zelten, Ausrüstung sowie Essen und Gas für 4 Tage in Richtung unserer ersten Gipfelziele auf und errichteten auf 4720m ein super gelegenes Hochlager mit tollem Blick auf den Khan Tengri (Lage! Lage! Lage! ;-)). Von dort aus gelang uns am darauffolgenden Tag die jahreserste Besteigung des 5420m hohen Pik Karly Tau, der früher ein beliebter Eingehberg war, in den letzten Jahren jedoch kaum noch bestiegen wurde. Mit dem ersten 5000er-Erfolg in der Tasche wollten wir am darauffolgenden Tag am 5671m hohen Pik Kasachstan gleich noch einen drauf setzen, blieben aber am technisch einfachen Ostgrat nur 250 Meter unter dem Gipfel gnadenlos im hüfttiefen Schnee stecken…

Nach 4 Tagen waren wir zurück im Basecamp und fühlten uns bereits fit und gut akklimatisiert für einen ersten Aufstieg Richtung Khan Tengri. Schnell war Lager 1 (4520m) erreicht und 2 Zelte errichtet, tags darauf ging es gleich weiter ins Lager 2 (5500m) – mit 1000 Hm die längste und zugleich anspruchsvollste Etappe auf dem langen Weg zum Fuße der Gipfelpyramide des Khan Tengri. Auch dort errichteten wir ein Zelt, deponierten unser Vorräte und stiegen zur Erholung noch am selben Tag wieder hinunter bis ins Basislager.

Schon einen gemütlichen Ruhetag später waren wir wieder bei besten Wetter unterwegs am Berg: Basecamp – Lager 1 – Lager 2, die Wegstrecke kannten wir ja nun bereits. Schon beim Aufbruch im Basislager hatten wir jedoch mit großer Sorge die Wetterprognosen für die kommenden Tage verfolgt: zwar lachte tagtäglich die Sonne vom wolkenlos blauen Himmel, aber der Wind war alles andere als das, was man an einem 7000er braucht: Tag für Tag über 50 km/h am Gipfel, meist sogar 75 oder 90 km/h in 7000m Höhe! Bei solchem Sturm wäre selbst ein Versuch ein enormes Risiko, denn am Khan Tengri kann man aufgrund der Steilheit und durchgehenden Fixseilversicherung nicht gemütlich und mit den dicksten Fausthandschuhen bergwärts stapfen, sondern muss ständig klettern und Seiltechnik und Karabiner bedienen, was nur mit deutlich dünneren Fingerhandschuhen funktioniert. Bzw. bei 50…75…90 km/h Windgeschwindigkeit eben leider NICHT funktioniert, denn kein Berg der Welt ist es wert, sich die Finger zu erfrieren. Auch die zahlreichen kirgisischen und russischen Bergführer im Basecamp schüttelten mit Blick auf die Wetterprognose nur den Kopf und meinten, so eine lange Zeit mit derartig starkem Wind hätten sie noch nie erlebt. Das half uns aber nichts, denn die Zeit rannte uns davon und Tag für Tag rückte der geplante Rückflugtermin näher, ohne dass der Wind nachließ und einen Gipfelversuch ermöglicht hätte. Also bestiegen wir als „Trostpreis“ schließlich den 6110m hohen Pik Chapayew Nord, quasi den Vorgipfel des Khan Tengri, den man auf der steilen Nordroute überschreitet, der für sich genommen jedoch auch schon ein Wahnsinns-Berg ist, der mit seiner steilen 2000m-Flanke zum Inyltschek-Gletscher hin abfällt. Auf dem Gipfel wollten wir eigentlich alle gemeinsam ein Gipfelbild machen, doch selbst hier, satte 900m niedriger als der Khan Tengri, war der Sturm so stark, dass man nach 10min warten völlig durchgefroren war und so die ersten schon wieder den Abstieg antreten mussten, bevor die letzten den höchsten Punkt erreicht hatten.
Am Khan Tengri selbst wäre man unter diesen Bedingungen absolut chancenlos gewesen – und das war sogar noch der Tag mit dem wenigsten Wind der ganzen Woche!

Auf dem Abstieg, der eigentlich eher ein kilometerlanges Abseilen an den Fixseilen ist, bauten wir unterwegs unsere beiden Hochlager wieder ab und stiegen in 2 Tagen zurück zum Basislager. Wir hatten nun noch etwas Zeit über, aber die Wetterprognose blieb die ganze Zeit und noch lange über unser Rückflugdatum hinaus auf Dauersturm. Also disponierten wir kurzerhand um, verließen das Basecamp 2 Tage eher als geplant per Hubschrauber und flogen zurück nach Karkara. Von dort aus unternahmen wir einen anderthalbtägigen Badeausflug an den Issyk Kul – mit 20°C Wassertemperatur ein irrer Kontrast zu der eisigen Gletscherwelt, in der wir nur wenige Stunden zuvor noch gewesen sind.

Am Ende der Tour ging‘s schließlich zurück nach Almaty, wo wir noch ein ausgiebiges Sightseeing-Programm absolvierten, uns beim besten Friseur der Stadt wieder ein zivilisiertes Outfit verpassen ließen und die Annehmlichkeiten der Zivilisation genossen, bevor es wieder zurück nach Hause ging.

Unterm Strich bleibt eine erlebnisreiche Expedition voller großartiger Landschaftseindrücke und mit einem tollen Team, zwar ohne den erhofften Gipfelerfolg am Khan Tengri, aber dafür mit einem stolzen 6000er als "Trostpreis“, der vom Erlebniswert her mehr war, als man bei so mancher Expedition geboten bekommt!

Markus Walter
Expeditionsleiter

PS:
Ach ja, und ziemlich sicher dauert es diesmal keine 32 Jahre, bis ich das nächste Mal wieder komme! :-)

Hochlager auf 4720m am Karly Tau
Karly Tau
Sonnenuntergang Lager 2
Aufstieg oberhalb Lager 2
Pik Kasachstan
Pik Karkara Basecamp
Aufstieg Karly Tau mit Blick auf den Khan Tengri
Khan Tengri, Chapayew North
Aufstieg Lager 1
Pik Chapayew (6110m), Nordseite
Pik Kasachstan, Tiefschnee
Fixseilaufstieg
Waschraum Basecamp
Inyltschek-Gletscher
Karly Tau (5420m)
Gletschersee
North Ridge
Helikopter, North Basecamp
Nomadenfestspiele
Abstieg Lager 2
Aufstieg oberhalb Lager 2
Pik Pobjeda, Pik Chapajew
Akklimatisationswanderung Pik Karkara
Pik Chapayew (6110m), Nordseite
Abstieg Lager 2
Helikopter Mi8
Sonnenaufgang am Khan Tengri
Gipfelbier Basecamp
Expeditions-Ausrüstung
Gipfelfoto Pik Chapayew Nord
Landung Helikopter Mi8, Basecamp Inyltschek-Gletscher
Fixseil Steilflanke